In The Woods… Interview

Wenn die Rede ist von rockigen Klängen, musikalischer Innovation und völliger kreativer Freiheit, fällt zwangsläufig der Name In The Woods… . Das norwegische Ausnahmesextett zeichnet sich seit seinen Anfangstagen durch ungebrochene Experimentierfreudigkeit aus. Der schwermetallische Sektor, von Kritikern stets als engstirnig und konservativ abgestempelt, ist das Zuhause von In The Woods… – selbst wenn der Sechser die Grenzen des Genre schon vor Jahren weit hinter sich gelassen hat.

Doch seine Wurzeln kann man nicht einfach abstreifen. So sprühen auch auf „Three Times Seven On A Pilgrimage„, dem aktuellen Klanggebilde der Norweger, einige metallische Funken. Priorität hat auf dem neuen Album jedoch ein längst vergangen und vergessen geglaubter Sound, nämlich der der späten 60er bzw. frühen 70er Jahre. Neben Studentendemos und theoretischen wie auch praktischen Aufrufen zur freien Liebe und exzessivem Drogenkonsum hat diese Ära vor allen die Musiklandschaft revolutioniert. Psychadelic Rock heißt das Zauberwort bzw. der Musikstil, der die In The Woods…-Mitglieder zu einer Hommage an eine Zeit des gesellschaftlichen Wertewandels inspiriert hat. Zumindest mit einigen Errungenschaften dieser Periode können sich die Norweger identifizieren, wie Sänger Jan Transit sagt. Aber der In The Woods…-Kopf gibt zu bedenken, daß es im Nachhinein schwierig sein dürfte, zwischen überlieferter Historie und tatsächlicher Begebenheit zu differenzieren.

„Die Basis, von der aus wir heute die späten Sechziger bzw. frühen Siebziger beurteilen, unterscheidet sich von der damaligen. In der Geschichte wird stets nur die Essenz eines Zeitabschnitts gesehen, nie die gesamte Entwicklung. Die Medien und die Geschichtsschreiber haben sich aus der Menge der innovativen Geister diejenigen herausgegriffen, die sie für die Repräsentativsten hielten und versucht daran die gesamte (Massen-)Bewegung zu erklären.“ Ähnliches versuchen In The Woods… auch mit „Three Times Seven On A Pilgrimage“.

Mit ihrer Hommage an Black Sabbath, Pink Floyd, Led Zeppelin oder die Beatles pickten sich die sechs Mannen die süßesten Früchte der Ära heraus, um dieser insgesamt Tribut zu zollen. Als Rückschritt sehen In The Woods… ihr Retro-Gebaren jedoch keineswegs an. „Es ging bei »Three Times Seven On A Pilgrimage« nicht darum, eine moderne Kopie längst vergangener Zeiten abzuliefern. Wir erinnern uns durch die Songs an diese Zeit, aber sind definitiv nicht verwurzelt in der Bewegung.“ Zudem klingen In The Woods… wie immer genau wie eine einzige Band – nämlich In The Woods… selbst. Und definitiv nach niemand anderem. Das einzige Merkmal, das alle Platten der sechs Norweger bisher gemeinsam hatten, ist die Tatsache, daß sich alle stilistisch voneinander unterschieden.

Wo ist also der rote Faden, der sich durch die In The Woods…-Kompositionen zieht? Jan ist sich selbst nicht sicher: „Ich habe schon des öfteren mit anderen Leuten darüber diskutiert und bin mehr oder minder zu dem Schluß gekommen, daß das zentrale Element der Band von Anfang an das Thema »Verlust« ist. Der Verlust von Liebe und der Verlust von Haß, der Verlust der Perspektive, der Verlust der Guten. All diese Kombinationen von Verlust haben uns beschäftigt. Manchmal denke ich, daß In The Woods… überflüssig sein wird, wenn wir jemals eine entspanntere Beziehung zu den Verlusten in unserem Leben bekommen.“ Verlust ist nicht nur Inhalt der musikalischen Kompositionen, sondern auch der Texte, die essentieller Bestandteil der Lieder sind. „Die Musik ist stets präsent und unterstreicht dadurch die Bedeutung der Worte. Die Texte dagegen sind sehr starke Elemente, die besondere Aspekte der Kompositionen untermalen und herausheben. Es ist als ein Geben und Nehmen. Mein persönliches Lieblingsstück auf »Three Times Seven On A Pilgrimage« ist »Empty Room«. Es handelt von Verlust. Überrascht?“

Keineswegs. Ist kreative Betätigung jeglicher Art doch oftmals eine perfekte Möglichkeit zur Verarbeitung von persönlichen Problemen. Jan sieht das ähnlich: „Ich muß zwar in keiner bestimmten Stimmung sein, um Texte oder Lieder zu schreiben, aber es ist wirklich sehr kompliziert, Ideen zu verwirklichen, wenn man generell zufrieden ist mit seiner Situation.“ Der In The Woods…-Kopf scheint sehr sensibel auf seine Umgebung zu reagieren, was jedoch keineswegs negativ gemeint sein soll. Sensibel meint vielmehr empfänglich für Signale. Signale des eigenen Körpers und der Umwelt. Jan lebt sehr bewußt. Nicht bewußt im Sinne eines Öko-Bewußtseins, sondern bewußt im Sinne von aktiv. Er nimmt sich die Zeit, Dinge zu tun, die ihm wichtig sind. Bricht aus. So reist Jan gerne. Aber nicht mal kurz zwei Wochen auf Mallorca oder in die DomRep. Wochenlange Trips nach Indien oder Südamerika stehen auf dem Programm, auf denen er die vielen kulturellen Einflüsse aufnimmt. Symbolisch gesehen: Jan ist wie ein Schwamm, der sich vollsaugt mit kreativem Potential, das er schließlich durch das Ausquetschen im Proberaum aktiviert. Grenzen gibt es daher für den „Transit-Reisenden“ nicht. Auch nicht musikalisch. Wo das Genre „Heavy Metal“ den meisten Bands Schranken auferlegt, haben In The Woods… von jeher den Ruf, sämtliche Barrieren mit Leichtigkeit zu durchbrechen. Und niemand ist ihnen deshalb böse. Vielmehr ist es zum Trademark der Truppe geworden, genau das zu tun, was niemand von ihnen vermutet. Es gibt keine faulen Kompromisse. Und keine Erwartungen.

„Ich weiß nicht, was die Zukunft für In The Woods… bringen wird. Wir haben keine Tourpläne, keine genaue Vorstellung, wie die nächste Platte klingen wird. Unsere Musik reflektiert unsere Persönlichkeiten, daher kann man nichts im voraus planen. In The Woods… ist eine Ansammlung und Komprimierung von Problemen, Gefühlen und Ideen. »Wir sind alle eins, wir sind alle gleich und das Leben ist nichts weiter als ein tagtäglicher Krieg«, sagt X-Botteri und er hat Recht damit. Unsere Kompositionen spiegeln das wider. Der Kampf, den wir alle mit uns selbst und unserer Umwelt ausfechten, findet sich in In The Woods… wieder. Manchmal frage ich mich, wie es eigentlich möglich war, daß sich eine derart verrückte Kombination von Menschen zusammenschließen konnte, wie es bei In The Woods… der Fall war.“

Vielleicht hat die Liebe zu jeglicher Form von Kunst dazu geführt, daß sich die sechs Norweger früher oder später einfach über den Weg laufen mußten. Denn wie unterschiedlich das Sextett auch sein mag, alle In The Woods…-Mitglieder haben ein Faible für die verschiedenen Möglichkeiten der kreativen Expression. Jan liebt es, mit Öl zu malen und Gedichte zu schreiben. Wie alle In The Woods…-Mitglieder. „Wir haben eine Beziehung zur Feder, um es metaphorisch auszudrücken. Jeder von uns schreibt gerne, allerdings weniger »offiziell«, sondern nur für uns selbst. Wir mögen es einfach – nicht mehr und nicht weniger.“

Der Vokalist ist kein Mensch der Übertreibung und der großen Reden, sondern konzentriert sich statt dessen lieber auf den Kern einer Sache. Dazu gehört nicht nur die Fähigkeit der Reduktion auf das wirkliche Wesentliche, sondern auch die Gabe, zuhören zu können. So ist Jan niemand, der seine Ohrmuscheln nur zum Konsum von Musik jeglicher Coleur gebraucht, sondern auch seiner alltäglichen Umgebung und den Mitmenschen einen Funken seiner Aufmerksamkeit schenkt. „Früher habe ich fast ausschließlich Metal gehört, aber auch Samantha Fox, Kylie Minogue oder Elvis in meinem Plattenschrank stehen gehabt. Allerdings bin ich im Laufe der Zeit dazu übergegangen, auch anderen Geräuschen zuzuhören. Manchmal lausche ich lieber dem Wind, anderen Menschen oder auch Autos.“

Dennoch ist Metal ein wichtiger Bestandteil von Jans CD- und Vinyl-Kollektion geblieben und nicht durch Scheiben zur Bestimmung von Vogelgesängen o.ä. ersetzt worden. Allerdings hat sich die Definition des Sängers vom Begriff „Metal“ erweitert. „Ich kann heute überall Metal hören. Die Differenz zwischen »wahrem« und »falschem« Metal liegt im Sound. Die verzerrten Gitarren, die stampfenden Drums und der Klang der Vocals findet man nirgends sonst. Darin liegt die rohe Energie, die einem in den Arsch tritt. Das größte Problem, das der Metal meiner Ansicht nach heutzutage hat, ist der Mangel an Bands, die innovative und zugleich qualitativ hochwertige, anspruchsvolle Musik machen. Den meisten fehlt die tiefere, spirituelle Essenz, die die Basis jeder Form von Expression sein sollte.“

Ist dieser Anspruch erfüllt, gibt es wenig Kunst, der Jan nicht zumindest Respekt entgegenbringt. So minimalistisch, wie seine Kategorisierung von In The Woods… ist, nämlich „Lärm, Verlust und Erde“, ist nämlich auch seine Definition des Gehalts von Kunst ganz allgemein. „Kunst ist eine Reflektion der Zeit, in der sie entsteht. Und wir sind unsere Zeit.“

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