Ashram Interview

Mit „For My Sun“ haben Ashram eins der stärksten Demodebüts aller Zeiten vorgelegt. Ungemein emotionale neoklassische Lieder entführen den Hörer in melancholische Welten – die Band braucht den Vergleich mit Genregrößen wie Arcana nicht fürchten. Sänger Sergio und Pianist Luigi standen mir Rede und Antwort.

Stellt zunächst mal eure Band kurz vor…
Luigi: Das derzeitige Line-up der Band besteht aus Luigi Rubino (Klavier), Sergio Panarella (Gesang), Edo Notarloberti (Geige) und Leonardo Massa (Cello). Ashram nahm erstmals Gestalt an, als Sergio und ich im Mai ’98
anfingen, unsere Ideen für den Song "For My Sun" zusammen auszuarbeiten. Bald darauf nahmen wir Kontakt zu Edo auf, um den Track im darauffolgenden Juli auf CD aufzunehmen. Zwischen September und März ’99 schrieben wir elf Songs, die wir alle auch aufnahmen und von denen wir letztlich sieben für die Demo-CD auswählten.
Sergio: Die Songs wurden lediglich mit Klavier, Geige und Gesang aufgenommen, da unser Cellist Leo erst im September 2000 zu uns stieß. In dem Jahr nahmen wir auch an einem Sampler namens "Intimations Of Immortality 5" teil.. Unser Song "Spirit Of The Rising Moon" eröffnete die CD, was uns großartige Reaktionen von seiten der Presse einbrachte. Im kommenden Dezember wird nun unser erstes vollständiges Album bei Prikoskovenie rauskommen, für das wir auch einige Ambient-Studioeffekte in unsere Musik einbauen wollen.

Was genau war für euch der Grund, Ashram ins Leben zu rufen?
S.: Es gab keinen speziellen Grund, wir begannen einfach damit, unsere Ideen auszutauschen, und fanden heraus, daß sie unsere Gefühle sehr gut repräsentieren…alles ergab sich mehr oder weniger von alleine.
L.: Der Anlaß für mich, mit Sergio eine Band zu gründen, war das Verlangen, Empfindungen und Gedanken mittels traurig-schöner Musik Ausdruck zu verleihen.

Was verbirgt sich hinter eurem Bandnamen?
S.: Der Begriff ‚Ashram‘ stammt aus der alten indischen Kultur und hat eine sehr teifgründige Bedeutung. So heißt nämlich dort der Ort, an dem der Guru die Suche nach Gott lehrt. Das mag in einem Haus, einem Zelt oder einer
Höhle sein. Ein Ashram ist stets offen für alle Religionen und fest in der Vergangenheit verwurzelt, gewissermaßen ähnlich wie unsere Musik. Mit Religionen verbindet uns direkt jedoch nichts, wir mögen vielmehr den Klang des Wortes und den spirituellen Hintergrund, den wir mittels unserer Musik wiederzugeben versuchen.

Wo würdet ihr eure musikalischen wie auch außermusikalischen Einflüsse sehen?
L.: Direkt beeinflußt hat mich nichts, aber meine klassische Ausbildung hat sicherlich ihre Spuren in meiner Art zu spielen hinterlassen. Ich verehre Bach und liebe es, über seine Partituren zu improvisieren. Aber auch Pergolesi hatte sicher einen großen Einfluß auf einige Passagen.
S.: Natürlich wird jeder Musiker, ob er will oder nicht, von seinem Hintergrund zumindest unbewußt beeinflußt. Als wir begannen, Musik zu machen, nahmen wir uns jedoch vor, vorgefertigten Strukturen oder Stilen keine große
Aufmerksamkeit zu widmen. Als textlichen Einfluß könnte ich höchstens Nick Drakes düster-verträumten Texte nennen, und auch seine Musik mag ich sehr. Ich schreibe meine Texte in Momenten, in denen es in mir brodelt, und versuche, möglichst schnell meine Gedanken in Worte zu fassen und ihnen mit Melodien Ausdruck zu verleihen. Es ist verblüffend manchmal: Auf der Bühne kann es mir passieren, daß ich beim Singen genau diese intensiven Momente wiedererlebe – das ist dann wundervoll.

Habt ihr alle eine klassische Ausbildung?
L.: Ich habe klassisches Klavier studiert und entwickle auf dieser Grundlage meinen eigenen düsteren Stil. Edo und Leonardo kommen beide vom Konservatorium, und während Leonardo sich auf Klassik, Barock und zeitgenössische Musik konzentriert, experimentiert Edo in allen möglichen Bereichen herum.
S.: Ich habe nie Gesangsunterricht gehabt, war jedoch jederzeit willens, an meinen Fähigkeiten, nach neuen Melodien und Klangfarben meiner Stimme zu suchen, zu arbeiten.

Beschränken sich eure musikalischen Aktivitäten auf Ashram?
L.: Sergio und ich konzentrieren uns zu 100 Prozent auf Ashram, wobei wir aber auch nicht zukünftige Projekte mit anderen Bands ausschließen möchten. Edo spielt neben Ashram noch bei Argine, Moresca und weiteren Projekten, während Leonardo in einigen Orchestern spielt.

Was glaubt ihr, könnte Metallern an eurer ganz ohne Metalelemente
auskommenden Musik gefallen?

L.: Es ist lediglich eine Frage der individuellen Empfindsamkeit. Metal, Gothic, Rock…die Qualität eines Albums kann solche Genregrenzen meiner Meinung nach überwinden.
S.: Nun, jeder versucht, in Musik Emotionen von sich selbst wiederzufinden. Und da das Leben nunmal Tausende von Facetten hat, gibt es für jeden verschiedene favorisierte Musikstile, genauso wie es unendlich viele
verschiedene Stimmungen gibt. Ich selbst bin ein großer Black Sabbath-Fanatiker und mag Rainbow ("Stargazer" ist eins meiner absoluten Lieblingslieder) und viele andere guten Metalbands. Zugleich mache ich aber komplett gegensätzliche Musik, sehr ruhig und mit unverstärkten Instrumenten. Ich mag auch Künstler wie Jeff Buckley, Joseph Arthur, Mogway, Radiohead und Motorpsycho. Ich halte es für sehr wichtig, offen für vieles zu bleiben, denn wie Luigi schon sagte, letzten Endes zählt nur die Qualität eines Albums. Daher kann ich auch Metalheads nur empfehlen, unserer CD eine Chance zu geben.

Ihr habt bereits erwähnt, daß ihr mittlerweile bei einem Label unter Vertrag seid. Wie wird es da nun genau weitergehen für euch?
L.: Zunächst wird im Dezember unsere erste komplette CD über Prikosnovenie erscheinen. Wir sind sehr froh, ein so aktives Label gefunden zu haben, das sich sehr gut und schnell um uns kümmert.
S.: Die Labelmacher arbeiten sehr professionell und sind sehr nett, beides Qualitäten, die im Untergrund recht schwer zu finden sind.

Wie genau dürfen wir uns die Entstehung eines Ashram-Songs vorstellen? Wie eine Rockband zu jammen, stelle ich mir in eurer Besetzung schwer vor…
L.: Die Ideen kommen ganz plötzlich über einen, meistens gerade dann, wenn man es am wenigsten erwartet. Mir kommt es oft so vor, als wäre die Musik stets um uns, und manchmal gelingt es mir, sie auf dem Klavier einzufangen.
Der Gesang ergänzt sie dann auf fast schon magische Weise. Das macht sie zu etwas sehr persönlichem.
S.: Unsere Songs entstehen für gewöhnlich aus einem Hauptthema, um das jeder von uns seine Melodien entwickelt. Dieses Hauptthema kann vom Klavier kommen, aber auf der CD ist auch ein Song, der lediglich auf Gesang und
Streichern basiert. Wir haben also schon auch ein gewisses Rockelement beim Schreiben der Songs dabei, da wir viel mit Improvisation arbeiten und auch beim Arrangieren die Melodien in eine Liedform zwängen.

Was erwartet einen bei einer Liveshow von Ashram?
L. & S.: Leidenschaft, Poesie, Kraft, Schönheit, Traurigkeit, Natur, Alpträume, Lebensfreude, Schmerz, Geheimnisse, Dunkelheit, Verzweiflung, Leben und Tod…und Musik.

Wie sähe für euch denn ein perfektes Ashram-Konzert aus?
L.: Wir hatten bislang bei jedem Gig viel Unterstützung vom Publikum erfahren, und das gibt uns selbst etwas, während wir spielen. Die perfekte Show ist, wenn es einem gelingt, die Leute vor einem mit den Stimmungen, die nur Musik vermitteln kann, zu berühren. Es ist gewissermaßen ein Austausch von Energien.

Worum geht es in euren Texten, die leider bei "For My Sun" nicht abgedruckt sind?
S.: In den Lyrics kleide ich meine Emotionen in Metaphern, unter anderem Regen, Hoffnung, Nacht und Licht. Jeder Song besitzt eine Verbindung zu einer Kurzgeschichte über eine Reise in unser Innenleben mittels unserer Vorstellungskraft. Die Jagd nach dem abhandengekommenen Glück spielt darin ebenfalls eine wichtige Rolle. Die Texte gehören alle zusammen, da ihnen diese Geschichte zugrundeliegt, die sich damit auseinandersetzt, daß sich in unserer Welt alles nurmehr um’s äußere Erscheinungsbild dreht. Das Konzept wurde immer wieder ausgebaut, so daß nun die in den Texten hervorgerufenen Bilder ganz im Einklang mit der Musik sind. Im Inlay unserer kommenden CD werden dann hoffentlich aber nicht nur die Texte abgedruckt, sondern auch die ganze Konzeptstory.

Die Lyrics besitzen bei euch also einen ähnlich hohen Stellenwert wie die Musik?
S.: Zunächst einmal machen wir Musik, und diese hat Vorrang vor allem anderen. Meine Texte würden ohne sie nicht funktionieren und sind auch von meinen Gesangsmelodien stark beeinflußt. Der Text zu "Spirit Of The Rising Moon"
entstand beispielsweise aus dem Gefühl heraus, daß ich beim Singen gewissermaßen einen einsamen, uralten Geist beschwören würde. Die Lyrics sind natürlich schon auch wichtig für mich, da sie meine tiefen Gefühle ausdrücken und einzigartig und magisch klingen, wenn sie in Melodien dahinfließen.

Eure Musik würde sich meiner Meinung nach auch gut für einen Soundtrack eignen, wie würde denn so ein Film aussehen, wenn man ihn auf der Musik von Ashram basieren ließe?
L. & S.: Es wäre wohl ein Schwarzweißfilm. Die Story wäre voller Dramatik und würde an düsteren Orten spielen, aber auch Hoffnung enthalten. Unser Song "Elisewin" wurde von einer Figur aus dem Roman "Oceano mare" von Alessandro Baricco inspiriert, es wäre großartig, unsere CD als Soundtrack für die Verfilmung dieses wunderschönen Romans zu hören.

Interessiert ihr euch auch für andere Künste?
S. & L.: Alle Künste werden von der gleichen Quelle genährt: Gefühlen. Daher machen Unterteilungen keinen Sinn. Es gibt sehr viele Künstler, die wir verehren. Alle aufzuzählen, würde zu viel sein, aber gerade bei der Bildenden Kunst lieben wir die Renaissance, Dalís Surrealismus sowie die verrückten Bilder von Escher. In der Literatur mögen wir besonders Edgar Allan Poe, Oscar Wilde, Hermann Hesse und Alessandro Baricco.

Kann man heutzutage in dieser Welt voller Hektik, Geldgier und trivialer Fernsehkultur noch als Mensch mit einem Faible für dunkle Romantik gemäß seinen Idealen leben?
S.: Ich stimme mit dir überein, was deine Weltsicht angeht. Gleichgültigkeit regiert allerorten, nur zu oft streifen wir andere Menschen nur und lernen sie nicht wirklich kennen. Wir sind verstrickt in einer Realität, in der der einzige Ehrgeiz es ist, Geld anzuhäufen und letztlich den Schein eines harmonischen Lebens zu genießen versuchen. Diese Illusion untergräbt unsere Leben mehr und mehr und macht uns unglücklich, frustriert und gelähmt angesichts der Nutzlosigkeit unserer Spiritualität in so einem Leben. Genau darum geht es auch in unserem Konzept…nach wahrem Glück in uns selbst zu suchen, gewissermaßen den Nektar unserer Gefühle aufzuspüren und aufzusaugen. Dies ist harte Arbeit, die typisch ist für romantische Seelen, die sich auch nicht auf die Musik beschränkt. Es ist natürlich frustrierend, die Oberflächlichkeit um einen täglich sehen zu müssen, aber ich glaube, daß es nicht wenige gibt, die durch eine hohe Empfindsamkeit über die Ödnis hinweggehoben werden und für einen Moment lang wirkliches Glück empfinden können.

Was kann Kunst da erreichen? Ist sie nicht nur Unterhaltung, die einen eine Weile von der Realität ablenkt, oder steckt eine größere Kraft in ihr, die die Realität verändern kann?
L. & S.: Kunst ist Energie, für die Künstler wie für die Rezipienten. Sie ist seelische Reinigung und Befreiung zugleich. Wir glauben, daß die Kreativität immer wieder von neuem allen Kraft verleiht, und in diesem Sinne kann Kunst
durchaus individuelle Veränderungen bewirken, die mit der Zeit auch die ganze Gesellschaft beeinflussen.

Was erhofft bzw. erträumt ihr euch von Ashrams Zukunft?
L.: Momentan nehmen wir die letzten Songs für unsere CD auf, von dem ich hoffe, daß es ungeachtet aller Grenzen möglichst viele Seelen erreicht. Die großartigen Rückmeldungen auf die Demo-CD, die wir fast komplett ohne Overdubs aufgenommen haben vor drei Jahren, lassen in uns natürlich die Erwartungen steigen, was nun das neue Album angeht, an dem wir so ehrgeizig arbeiten. Ansonsten werden wir an ein, zwei Compilations teilnehmen und hoffentlich viele Konzerte spielen. Unser absoluter Traum wäre allerdings, einen Soundtrack herausbringen zu können.

Was schießt euch bei folgenden Stichworten so durch den Kopf?
-Italien

S. & L.: In musikalischer Hinsicht macht unser Heimatland gerade große Schritte nach vorne. Es gibt viele gute Metalbands wie Labyrinth und Rhapsody und auch einige wichtige Pop/Rockkünstler, die auf italienisch singen, z.B. Cristina Donà. Im Untergrund gibt es auch einige empfehlenswerte Namen wie etwa Ataraxia, Argine, bei denen ja auch unser Geiger Edo mitwirkt, und Trees, die die beste Musik in ganz Europa spielen.

-Edgar Allan Poe
L.: Gänsehaut.

-Electronic music
L.: Wir mögen Nine Inch Nails, Tricky, Matmos, Kirlian Camera usw.

-Rhapsody
S.: Italiens beste Metalband!

-Alkohol
S. & L.: Statt den harten Sachen trinken wir lieber einen guten Rotwein!

Das paßt auch besser zu den schweren, dunklen Emotionen auf "For My Sun", die ich abschließend allen Freunden düsterer Musik nur auf’s Wärmste empfehlen kann Kontakt: Panarella Sergio, Via Francesco Galeota, 5, 80125 Napoli, Italien, E-mail: ashram3@freemail.it

Hinterlasse jetzt einen Kommentar

Kommentar hinterlassen

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*