Rock Your Brain – Review

Rockmusik und Philosophie – passt das überhaupt zusammen? Nach der Meinung vergreister, moralinsaurer Jazzkritiker vermutlich nicht. Aller spätestens seit Bob Dylan der Literaturnobelpreis verliehen wurde, sollte diese Diskussion eigentlich ein für alle Mal vom Tisch sein. Natürlich kann sich Rockmusik, respektive Metal, auch auf intelligente Weise an komplexen Thematiken abarbeiten. Einziges Problem: Es gibt leider kaum Literatur, die den intellektuellen Gehalt von Rock und Metal offenlegt, erklärt und dem Durchschnittsmusikkonsumenten kompakt und verständlich näherbringt. Dominik Feldmann versucht, das mit „Rock Your Brain“ zu ändern.

In insgesamt 13 Essays wird philosophischen Theorien, die sich in bekannte Rock- und Metalsongs hineininterpretieren lassen, auf den Grund gegangen. Die Vorgehensweise ist dabei immer gleich: Es wird kurz und bündig Songmaterial beleuchtet, über welches dann eine passende philosophische Theorie oder Denkansatz gestülpt wird. So weit, so einfach – würde sich Feldmann dabei nicht so konsequent auf Nebenschauplätze verirren: Im selben Atemzug mit Metallicas „Whiplash“ – einem Song, der den Rausch des Publikums während eines Konzerts beschreibt – wird fix mal eben der Drogenkonsum einschlägiger Musiker abhandelt. Das mag zwar faktisch seine Richtigkeit haben, hat allerdings weder etwas mit dem erwähnten Titel zu tun, noch wird es in philosophischer Hinsicht den unter einem erweiterten Bewusstsein entstandenen Werken, beispielsweise des Psychedelic Rock, auch nur im Ansatz gerecht. Feldmann turnt von A nach B; er verliert den Sinn für das Wesentliche. Sehr schade, denn der Ansatz bietet durchaus Potential in einem bisher wenig erkundeten Terrain.

Leider – und das ist der wohl größte Kritikpunkt an „Rock Your Brain“ – wirken einige ausgewählte Lyrikbeispiele zudem gänzlich fehl am Platz, gemessen an möglichen Alternativen, die textexterne Interpretationen eröffnet hätten. Warum verliert Feldmann beispielsweise im Vergleich mit Michel Focaults Theorie, Sexualität biete auch die Option als Machtinstrument verwendet zu werden („Sexualitätsdispositiv“), kein Wort über W.A.S.P., die mit „Animal (Fuck Like A Beast)“ nicht nur der prüden Sexualmoral Amerikas vor den Kopf stießen, sondern auch – zugegebenermaßen zusammen mit einigen anderen Musikern und Bands – der späteren Fast-First-Lady Tipper Gore den mittlerweile auf einschlägigen Veröffentlichungen zu findenden Aufkleber „Warning Explicit Lyrics“ abringen konnten? Und warum wird nicht im selben Atemzug Bezug auf Lou Reed genommen, der bereits auf dem legendären Debütalbum „The Velvet Underground And Nico“ BDSM-Thematiken besang und damit ideell dem ähnlich tickenden Focault deutlich näher gewesen sein dürfte? Statt zur Seite zu blicken und nach über die bloße Lyrik selbst hinausgehenden Korrelationen zu suchen, stärkt Feldmann den Irrglauben, Philosophie sei nichts weiter als eine alles theoretisierende Wissenschaft – und schadet damit seinem eigentlichen Anliegen mehr, als dass es ihm nutzt.

„Rock Your Brain“ ist deutlich anzumerken, dass Feldmann – wie er auch eingangs erklärt – nicht Philosophie studiert hat. Dafür sind die Essays schlichtweg zu unstrukturiert und in ihrer Bedeutung nicht selten so großzügig ausgedehnt, dass sie in jedem Fall auf die entsprechenden Songs passen. Viele Entscheidungen wurden gänzlich falsch getroffen – sowohl von der musikalischen Auswahl her, denn andere Beispiele hätten deutlich mehr hergegeben, als auch aus philosophischer Perspektive, die lediglich auf einige herausgepickte Songtexte gestülpt wird. Musiker, die sich bewusst der Vertonung philosophischer Konzepte gewidmet haben oder von denen zumindest bekannt ist, dass sie sich mit derartigen Thematiken intensiv befasst haben – beispielsweise Jim Morrison – werden zwar bewusst nicht in dieser Form behandelt, das Ergebnis tut dem Gesamtbild damit aber einen immensen Abbruch.

In „Rock Your Brain“ kommt das Schlechte aus den beiden Welten der Literatur und der Philosophie zusammen: Eine einfach verständliche, aber enzyklopädisch-dröge Schreibe und Ungenauigkeiten in den philosophischen Umsetzungen. Wer wissen will, was sich alles in Rocklyrik hineindenken lässt, der darf gerne mal einen Blick riskieren, denn die erläuterten Denkmodelle sind äußerst nachvollziehbar für Laien dargelegt. Wem es tatsächlich um philosophische Themen in der Rockmusik geht, der lässt bitte die Finger von diesem Buch.

ISBN: 978-3927447097, Verlag: Phantom Verlag, 204 Seiten

https://www.phantomverlag.de/Rock-your-Brain/

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