Dornenreich Interview

„Gänsehaut statt Gänsemarsch“ haben sich die Österreicher Dornenreich auf ihre Fahnen geschrieben. Und auf dem heuer erscheinenden dritten Album „Her Von Welken Nächten“, eine kleine musikalische Kostprobe befindet sich auf der diesem Heft beiliegenden CD, werden sie diesem Anspruch einmal mehr gerecht. „Her Von Welken Nächten“ ist ein zutiefst emotionales, aufwühlendes, sich von jeglichen Klischees loslösendes, intensives Werk extremer Tonkunst, welches natürlich sofort dutzende von Fragen in mir aufkeimen ließ. Glücklicherweise fand sich Eviga sofort bereit meinen Wissensdurst zu stillen.

Euch ist ja wieder ein wahrer Geniestreich gelungen! Gibt es trotzdem nach einer gewissen Zeit des Abstands von Eurem Werk Punkte, die Ihr ändern würdet, wenn die Möglichkeit dazu vorhanden wäre?
Nun, mit diesem unserem dritten Album bin ich bereits jetzt, das heißt unmittelbar nach Abschluß der Arbeiten, rundum zufrieden, was bei beiden vorangegangenen Alben nicht der Fall war. Die bestehende Endfassung zu „Her Von Welken Nächten“ kommt nämlich dem beängstigend nahe, was wir damit ur-sprünglich zu vermitteln suchten: Intensität, Gänsehaut, Dynamik, (Natur-) Mystik, Lei-denschaft, Ästhetik, Stilbereicherung, Eindringlichkeit, Bildhaftigkeit, Überraschungsvielfalt, kindlich-spielerische Grenzenlosigkeit, Lebendigkeit im Bilde extremer Gegensätze und all dies verwoben in völliger Eigenständigkeit. Es ist jedoch gewiß auch so, daß mir mit jedem Tag der nun verstreicht wiederum klar wird, daß selbst „Her Von Welken Nächten“ – in all seiner Stimmigkeit – nur ein weiterer Wegweiser sein kann, der uns mit Dornenreich zwar für den Moment genugtuend bestätigt, sich für den – für uns – richtigen Pfad durch das weltliche Dickicht entschieden zu haben, der aber eigentlich noch im selben Moment dazu auffordert weiter zu stapfen.

Du hast beim Interview zum letzten Album (Eternity #12) geäußert „Dornenreich ist nicht, Dornenreich wird.“ Das habt Ihr nun eindrucksvoll bestätigt. Es hat sich einiges getan gegenüber den vorangegangenen Alben. Was denkst Du sind die wichtigsten Veränderungen auf diesem Album?
In erster Linie fühle ich dahingehend, daß uns während der Entstehung von „Her Von Welken Nächten“ täglich bewußter wurde, wie facettenreich und umfassend unser künstlerisches Ausdrucksstreben herangereift war. Wir vertieften uns mehr und mehr in die Magie und visionäre Kraft, welche zu ent-fachen Ton, Silbe, Klangfarbe und Dynamik vermögen. Zudem ist uns selbst durch unsere ersten beiden Alben – vor allem aber gerade durch unser Zweitwerk „Bitter ist´s dem Tod zu dienen“ – Dornenreichs authentischstes Charakteristikum klar vor Augen getreten, nämlich extrem – emotionale und direkte Intensitätsvermittlung in naturmystischem Gewand. Diese Charaktereigenschaft suchten wir mit „Her Von Welken Nächten“ in eine emotionell noch zupackendere, eine schaurig-schöne, zuweilen jedoch geradezu entsetzlich unmittelbare Intensität zu steigern – in jeder Hinsicht. So versteht es die Klangwelt des Al-bums derart geschickt, betroffen machende Nähe mit in sich ziehender Mystik und Tiefe zu verbinden, daß ein vieldimensionales Ganzes ent-steht, welches durch die lyrische Eindringlichkeit bzw. Hinwendung zum ursprünglichen Mensch-sein des einzelnen Hörers (Reisenden, Abenteurers…) sowie durch das illustrationsreiche Booklet erst aufgefächert und tatsächlich lebendig wird. Da wir allerdings un-sere ersten drei Alben als Trilogie verstehen, sowohl im Sinne der grundlegenden Intensitätsvermittlung und der wiederkehrenden Inhalte Vergänglichkeit, Ich -Verlorenheit und Willens- bzw. Vorstellungskraft, als auch im Sinne des minimalistisch – ästhetischen, über sich hinausweisenden Artworks, sehe ich in Dornenreichs Werden weniger einen Prozeß der Veränderung als vielmehr ein schicksalshaftes Heranreifen einer bereits am Anfang be-standenen Vision, die mit jedem Album an Aus-drucksstärke gewinnt.

Ihr habt Euer Logo geändert. Ist das als Zeichen für kontinuierlichen Wandel zu verstehen?
Im Grunde wollten wir das Logo erst ab dem vierten Album überarbeiten, zumal ja die ersten drei Alben eine Trilogie bilden, die auch auf der optischen Erscheinung beruht. Zur vorzeitigen Abänderung entschlossen wir uns schließlich, da das bisherige Logo unser ästhetisches Empfinden schmerzte (weshalb es zu Zeiten bereits zu Pseudonymwechseln von Valnes und Gilvan gekommen war) und weil dem bisherigen Logo eine bestehende Schrift zugrunde liegt, was unserem Streben nach ureigenem Ausdruck selbstredend zuwiderlief. Darum entschlossen wir uns zu einem exklusivem Entwurf für ein neues Dornenreich – Logo. Außerdem änderten wir das ursprünglich großgeschriebene „R“ im „Reich“ auf ein kleines „r“ ab, um einerseits den künstlerischen Interpretationsrahmen zu erweitern und um andererseits etwaigen politischen Spekulationen und immer lauernden Rufmordattacken von Leuten, die die bislang nur unser Logo wahrgenommen haben, gleich vorweg den Wind aus den Segeln zu zaubern.
Um die einleitende Frage zu beantworten, würde ich sagen, daß das neue Logo von einer kontinuierlichen Wieder-beschäftigung mit allen Details zeugt. Wir sind wirklich sehr darauf bedacht, daß Klang, Silbe und Bild schlüssig sind und dabei auch alle Details (z.B. Logo) unserem hohen künstlerischen Anspruch gerecht werden, worin ja schlußendlich auch die Glaubwürdigkeit einer Arbeit zum Ausdruck kommt (oder eben nicht).

Wo wir gerade bei Äußerlichkeiten sind: Was gibt es zum Cover zu erzählen? Es ist wieder einmal sehr minimalistisch gehalten, was sich langsam zu einem Markenzeichen zu entwickeln scheint (auch wenn seinerzeit beim ersten Album werbetechnisch von einem „aufwendigen Artwork“ die Rede war, wenn ich mich recht erinnere…).
Es freut mich zu hören, daß Du ob der eigentümlichen minimalistischen Stilistik von einem (optischen) Markenzeichen sprichst, denn genau das soll es auch sein. Seit „Nicht um zu sterben“ ist es unser optischer Stil, ein fantasieoffenes, schlichtes Artwork zu bieten, welches nicht vordergründig das Bandlogo sondern zuallererst den jeweiligen Albumtitel inszeniert. Dazu kommt die Tatsache, daß Front- und Backcover immer eine Einheit bilden, wodurch der von uns angestrebte Eindruck eines Einbandes, einer würdigen Umhüllung, entsteht. Mittlerweile erkennt man unsere Alben sofort, und zwar eben nicht am Logo, das hier eher hintergründig miteingeflochten ist. Darauf bin ich stolz, denn wir haben unseren Stil beibehalten, obwohl uns manche Vertriebe und Läden noch bis zu unserem Zweitwerk mit der Begründung boykottiert haben, sie wüßten nicht, wie derartige Artworks zu vermarkten seien.
Wenn wir über ein „aufwendiges Artwork“ sprechen wollen, dann muß ich zum Beginn klarstellen, daß für mich der Aufwendigkeitsgrad eines Artworks keineswegs mit der Anzahl der darauf abgebildeten Details steigt, nein, meinem (ideellen und nicht kommerzialisierten) Empfinden nach ist ein Artwork dann wertvoll und aufwendig, wenn es nach außen einfach nur ästhetisch, schlüssig, passend und eher dezent wirkt, jedoch bei genauerer Betrachtung oftmals erst eigentliche Tiefe frei macht. So glaube ich, daß man bei Dornenreich – Artworks bestimmt erkennen kann, daß der optischen Erscheinung beispielsweise folgende Überlegungen vorausgehen: Das Artwork sollte den Inhalten des Albums ein schlichter Hintergrund, eine ästhetische Umhüllung sein – im Sinne der Glaubwürdigkeit und gedanklichen Integrität. Das Artwork sollte in sich und in Kontext mit den Aussagen des Albums ein harmonisches Ganzes bilden. Das Artwork sollte – ruhig erst längerfristig – als (optischer) Part des Gesamtwerkes erkannt und geschätzt werden können. Denn Dornenreich lassen sich nicht dazu herab, das Artwork mit peinlich – kommerzwütigen Schlüsselreizen (Sex, Horror, Action and Crime sells) stumpf zu plakatieren, und den Käufer als willenlos stimulierten Organismus, als atmende Geldbörse, hinzustellen.
Was ich noch zum aktuellen Cover anmerken will, ist, daß es diesmal nicht nur mit dem Backcover in unmittelbarem Zu-sammenhang steht, sondern genauso mit der Booklet-rückseite. Die enthaltenen drei Bilder haben das (gedank-liche) Reifen des Menschwesens während einer welken (=späten, ahnungsvollen) Nacht zum Inhalt. Zu Beginn irrt das Menschwesen (das Individuum) durch die Nacht, um fortlaufend mehr und mehr mit ihr – und gleichsam mit sich selbst – zu verschmelzen, und um schlußendlich als gefestigteres Ich aus ihr herauszutreten… Her Von Welken Nächten.
Auch will erwähnt sein, daß die Erstauflage als Digi-Pack erscheinen wird, die mit einem achtundzwanzigseitigem Booklet aufwarten wird können, welches etliche zusätzliche Stimmungsfotografien aus den letzten zwei Jahren enthalten wird.

Was waren die Inspirationsquellen für das vorliegende Album?
Ich will hier vorwiegend auf die mir bewußten Inspirationsquellen zu sprechen kommen, selbst wenn es für mich unbestritten ist, daß die Hauptinspiration für die gesamte Ausführung einer Idee in all den unterbewußten Erfahrungen und Einflüssen zu suchen ist, die täglich auf mich eindringen. Vermehrt erlebe ich, daß mir nicht ein bestimmtes Thema Inspiration ist, sondern vielmehr die Art und Weise, wie ich dieses Thema über die Jahre hinweg verschiedentlich wahrnehme, empfinde und mich reflektierend annähere. Es ist ja kein Geheimnis, daß beispielsweise die Vergänglichkeits-Thematik (wie erwähnt) einen immer wiederkehrenden inhaltlichen Kern meiner Texte darstellt. Dabei verschiebt sich aber von Album zu Album der emotionale und gedankliche Blickwinkel, wodurch es mir zu gelingen scheint, eine aufrichtige Stellung gegenüber (u.a.) dem (weltlichen) Tod dieser mich so sehr beschäftigenden archaischen Herausforderung an wahrhaftes Menschsein, zu beziehen.
Darüberhinaus ist mir eine gewisse wildromantische Natur-wahrnehmung sowie die Gabe besonders schwelgerischen und intensiven Tagträumens ständiger Quell der Inspiration. Weiters besteht das gedankliche Gerüst zu „Her Von Welken Nächten“ in philosophischen Fragestellungen wie z.B.: Wie soll oder kann ein Menschwesen mit der ureigenen Einzigartigkeit seiner Wahrnehmungen und Empfindungen, und so mit einer immer nagenden Einsamkeit, umgehen? oder, wann ist ein Moment ein „gelebter“ Moment und inwieweit vermag es ein gelebter Moment einem Menschwesen Seelenfrieden in purer Gegenwart zu sein? oder auch, was macht meine Intuition aus und warum schaffe ich es nur so selten, mich ihr anzuvertrauen, oder letztlich wie ist mein Menschsein beschaffen?…
Kurzum, die inhaltliche Inspiration besteht in meinem ei-genen Menschsein, meiner emotionalen, rationalen und sinnlichen Wahrnehmung bzw. Verarbeitung verschiedener Archetypen wie Tod, Willenskraft, Trauer, Vertrauen, Einsamkeit, Lüge, Wahrheit,…. Ich versuche besagtes Menschsein in umfassender Weise zu begreifen, das heißt für mich sowohl psychologisch/ philosophisch als auch formal zugänglich, widersprüchlich und damit einfach nur menschlich bzw. perspektivendynamisch. Unsere musikalischen Inspirationen sind mittlerweile dermaßen weit verzweigt, daß eine detaillierte Darlegung gewiß zu umfangreich würde. Nur eines dazu, Musik, die uns anregt und fesselt ist immer eine, die Hingabe, Leidenschaft, eine gewisse Erdigkeit und intensive Zerrissenheit fühlbar werden läßt.

Ihr fallt musikalisch ziemlich aus dem Rahmen, deckt ein zu großes Spektrum ab und setzt Euch zwischen alle Stühle. Eure Musik ist nicht mehr wirklich als Black Metal zu bezeichnen, es ist aber auch kein Gothic. Ich bin mir nichteinmal sicher, ob ich überhaupt durchgehend den Begriff „Metal“ verwenden würde. Wie würdest Du Euer Schaffen umschreiben? In Eurem letzten Interview hattest Du erläutert, daß ihr durchaus noch ins Black Metal Spektrum hineinpaßt.
Wie herrlich, endlich ist wieder ein Album im Begriff zu erscheinen, das sich nicht mit gängigen Schlagwörtern abspeisen läßt. Es besteht demnach noch Hofnung auf künstlerische Innovationen. Mit Dornenreich machen wir uns die reichhaltige Welt des Klanges und der Klangfarbe in ihren äußersten Extremen zu eigen. Unser Spektrum reicht dementsprechend von lautester wuchtiger Dichte bis hin zu absoluter Stille und dies mitunter innerhalb weniger Sekunden. Wir selbst umschreiben „Her Von Welken Nächten“ als düster-dynamische Intensität in neun Wogen. Das trifft´s, ist eigen, ist unverbraucht.
In Bezug auf „Black Metal“ ist zu sagen, daß wir seit unserem Demo „Mein Flügelschlag“ von unserer eigenen Interpretation dieser Stilbezeichnung ausgegangen sind. In knappen Worten bedeuetet „Black Metal“ für uns intensitätsberstende Leidenschaft, emotionale Eindringlichkeit. völlige Wesens-hingabe, wildromantische Natur-Verklärtheit, atmosphärische Tiefe, äusserste Empfindungszerrissenheit, Grenzenlosigkeit, überzeugende Individualität, ästhetische Ausdruckstheatralik und eigenes Erleben und Bewältigen weltlicher Archetypen. Verstünde man „Black Metal“ weithin so, hätte ich nichts dagegen einzuwenden, Dornenreich weiterhin mit „Black Metal“ zu umfangen, doch dem ist dieser Tage leider ganz und gar nicht so….

Wer denkst Du sind die Leute, die Eure Alben kaufen? Um welchen Personenkreis handelt es sich? Was treibt sie zu Dornenreich?
Ich möchte erwähnen, daß ich mit zahlreichen Wesen, die unsere Werke schätzen, in weltweitem Briefkontakt bin und ich habe den Eindruck, daß ich es mit hochsensiblen, lebendigen und wachen Wesen zu tun habe, die große Leidenschaftlichkeit im Herzen tragen, welche in diese Realität und Zeit nicht passen will. Es sind Wesen, die, so glaube ich zumindest, eine kreischende Sehnsucht nach intensiven und ursprünglichen (drogenfreien) Erlebensmomenten in sich bergen, Wesen, die fantasievolle Individualisten sind, welt- aber mehr noch traumoffen und im Prozeß einer stetigen Reifung begriffen. Was treibt diese Wesen zu Dornenreich? Ich meine, Dornenreich steht für Qualität, Kontinuität, ästhe-tisierte Aufrichtigkeit und Unbeirrbarkeit. Wir bieten etwas, woran man glauben kann, etwas das einen trotz oder gerade wegen all der emotionalen Schonungslosigkeit und Heftigkeit unserer stilistischen Umsetzung letztlich positive Impulse zu geben vermag.

Es scheint, daß zwischen Dax, Big Brother und Wirtschaftswachstum nicht mehr allzuviel Raum in unserer Gesellschaft zu sein scheint für Poesie und Hingabe. Wo und wie positionieren bzw. behaupten sich Dornenreich und die Menschen dahinter?
Zweifelsohne ist Dornenreich vor dem Hintergrund weltlicher Realität gelebter Idealismus und es ist wohl klar, daß sich ein Wesen (ich will und kann hier nur für mich sprechen), das sich in einer derart eigentümlichen, fantastischen und ästhetisch-theatralischen Weise auszudrücken pflegt, wie ich mich in Dornenreich, sich nur schwerlich im weltlich banalen Alltag zunehmend wertverödeten Massensiechtums einfindet. Ich befinde mich in der Tat auf der Flucht, die mich zumeist weit in die Natur, weit in Bücher oder einfach nur weit in mystische Tagträume treibt. Es braucht nicht viel, um mir vorraussagen zu können, und jedermann wird mich darauf stoßen, daß meine – in gewisser Weise naive – Weltverweigerung ein baldiges Ende wird finden müssen. Für mich steht jedoch außer Frage, daß ich mich weiterhin so wenig als nur irgendmöglich in die bestehende Gesellschaft eingliedern werde, und daß ich mir eine – wie könnte es auch anders sein – äußerst eigenwillige Existenz abseits aufzubauen versuchen werde. Mein Idealis-mus ist bislang ungebrochen und ich bin es nicht leid, für mei-ne Visionen hart arbeiten zu müssen. Auch mein alltägliches Leben muß immer von Leidenschaft, Eigenwilligkeit und Na-turverbundenheit getragen werden können, alles andere würde mich bald zermürben.

Poesie wie Ihr sie schafft ist zwangsweise mit der teilweisen Entblößung des Schaffenden verbunden. Besteht ein gewisser Abstand zwischen Persönlichkeit und künstlerischem Schaffen, oder geht beides ineinander auf?
Zum Zwecke völliger Authentizität muß sich – meiner Mei-nung nach – das lyrische Ich mit dem Ich des Autors selbst schlußendlich decken. Es ist für mich ungemein wichtig, um meine künstlerische Arbeit ernst nehmen zu können, beispiels-weise um allen Stimmeinsätzen einen glaubwürdigen, inten-siven Ausduck zu verleihen, daß ich mich in meinen Texten auch im Detail selbst spiegle bzw. daß ich mich als Musiker mit meinen innersten Empfindungen stets in der Schwingung jedes einzelnen Tones meiner Melodie verkörpert fühle, ich gebe demnach mein Innerstes preis. um einem Werk wahrhaften Wert beibringen zu können.
Man mag mich darob ruhig exhibitionistisch, narzißtisch, ein-dimensional oder selbstzerstörerisch schelten, eines bin ich dabei aber ganz gewiß – nämlich ehrlich. Generell würde ich also schon sagen, daß – nennen wir es einmal – die alltägliche Identität und das künstlerische Pseudonym ineinander aufgehen, wobei das Pseudonym natürlich doch irgendwie das Ideal des bürgerlichen Wesens dahinter verkörpert. Andern-falls bedienten wir uns sicherlich nicht der Pseudonyme, in Dornenreich lassen wir aber eben gerne alltägliche Gewöhnlichkeiten außen vor, zumal diese sich kaum ästhetisieren lassen und da für uns Mystik, Eigenständigkeit und Unabhängigkeit bzw. der Schaffensprozeß bei Dornenreich bereits mit unverbraucht tönenden Namenssilben anhebt.

„Her von welken Nächten„ ist ein Konzeptalbum. Erläutere einmal das zugrunde liegende Konzept. Wenn Du willst, kannst Du jeden Song einzeln kommentieren und eventuell auf die musikalische Umsetzung der zugrunde liegenden Thematik eingehen.
Gleich zu Beginn möchte ich anmerken, daß sich im Booklet genaue Erläuterungen zu jedem Text befinden, welche die teilweise doch sehr komplexen Ausgangsgedanken ausführlich aufgreifen.
Kurz gesagt geht es um einen gedanklichen, emotionalen und individuellen Reifungsprozeß eines Menschwesens in dem fiktiven und wildromantischen Szenario der welken (bewußten, ahnungsvollen) Nacht. Ein Menschwesen erwacht plötzlich inmitten einer Waldnacht und wird nach und nach der Stärken und Schwächen seines einzigartigen archaischen Menschseins gewahr.
In „Eigenwach“ muß das (verstörte) Menschwesen die Begrenztheit und Unvermittelbarkeit seiner eigenen Natur an der nächtlichen Naturharmonie bzw. Naturvollkommenheit erkennen, in der er sich nunmehr (erstmals) wiederfindet. Die Musik hierzu ist von enormer Bedrohlichkeit, Düsternis, Unruhe und Empfindungszerrissenheit, was sich im folgenden „Ich bin aus mir“ fortsetzt, zumal das Menschwesen hier vor dem entsetzlichen Abgrund personaler Vereinsamung zu schwanken kommt.
In „Wer hat Angst vor Einsamkeit?“ wird dann die Einsamkeits – Thematik, die Tatsache, daß jedem Menschwesen (ob seines einzigartigen und unvermittelbaren Erlebens) eine elementare Einsamkeit innehaftet, im Felde eines ernüchternden bizarr -zynischen Gesprächs auf die Spitze getrieben, wozu die Musik in erbarmungsloser Weise voranpeitscht.
Es folgt „Grell und dunkel strömt das Leben“, worin die grundlegende mensch-liche (sinnliche und rationale) Erkenntnisfähigkeit arg in Frage gestellt wird. Der Text schließt – ich zitiere mich hier selbst (s. Booklet) – „mit der Metapher menschlicher Augen, die nur hell zu sehen vermögen, während all die grellen Lügen und dunklen Wahrheiten als undiffenrenzierter, großer (als solcher unerkannter) Fluß am Menschwesen vorüberströmen, wobei der menschliche Gedanke ohnehin zu schnell stirbt, um dem folgen zu können…“. Musikalisch wechselt das Bild zwischen zuweilen süßer, zeitweise schwerer Melancholie und aufrüttelnder Wucht.
In „Innerwille ist mein Docht“ versucht das Menschwesen sich mit Hilfe seiner urei-genen inneren Stimme (seiner Intuition) unzweifelhafter Wahrhaftigkeit – für sich als Individuum zu nähern. Die begleitende Musik besilbe ich am liebsten als nach innen gewandt, kindgleich-wurzelführend, gleichermaßen betörend wie beängstigend, als ein – bis auf das letzte Streicherthema – abgrundnahes Labyrinth.
Hierauf begreift das Menschwesen in „Hier weht ein Moment“ seine personale Realität und Gegenwart im Zuge eines gelebten Moments und fragt sich, inwiefern ein gelebter Moment andauernden Seelenfrieden (bzw. eine gewisse psychische Stabilität/ Balance) in sich bergen kann. Musi-kalisch ist das Stück mystisch und ungemein „organisch“ gehalten und vertont den Titel durch seine dynamischen (Streicher-) Arrangements nahezu perfekt.
Mit „Schwarz schaut tiefsten Lichterglanz“ beweist das Menschwesen rückhaltlose Aufrichtigkeit (um nicht zu sagen eine Tendenz zu mutwilliger Selbstzerstörung), indem es Tag, Nacht und in gewisser Weise sich selbst als Trug- und Wahnsinnsgebilde zu demaskieren sucht. Am Ende bleibt nur eines bestehen: Das Menschwesen ist imstande, alle weltlichen Wirrungen zu durchschauen, sofern es mit sich selbst im Bunde der Ehrlichkeit steht, und es wird ein Schrei immer lauter: „Schwarz (=das Menschwesen) sehnt sich sehr“. Die Musik ist geprägt von elegischem Schmerz, emotionaler Ambivalenz und rhythmischer Zerhacktheit.
All dies findet in der nachfolgenden „Trauerbrandung“ einen aufbrausenden Höhepunkt. Dem Menschwesen tut sich die Naturintensität als Trauerbrandung des Augenblicks auf, in dem es erkennt: „Ich trinke Tränen, ich schöpfe Kraft“.
Einen versöhnlichen Abschluß findet das Album hernach in „Mein Publikum – der Augenblick“. Das Menschwesen erinnert sich an die Unbefangenheit und Reinheit seiner Wahrnehmung während seiner Kindheit und vermag es nunmehr – gleichsam mit Kindesaugen -, Zeit und Vergänglichkeit einzuordnen. So sei Zeit nicht Hast oder Eile sondern Neugierde, die wahrlich brennendes Interesse an dem zeigt, was jedes einzelne Menschwesen auszudrücken weiß. Letztlich erhebt das Menschwesen die Zeit allegorisch zum ständigen Wegbegleiter (und Publikum), wodurch es sich gewußt, empfunden und geborgen weiß bzw. fühlt, selbst in den unzerbrechlichen Ketten personaler Einsamkeit liegend. Das Menschwesen kann sich demnach selbst innerlich losmachen, indem es um Hilfe ruft – Der Augenblick „floß geschmeidig und in warmen Wogen aus meinem Innersten…“

Gibt es Deiner Meinung nach irgendein Leitmotiv, eine durchgehend gleichbleibende Intention oder dergleichen, die sich durch das gesamte bisherige Schaffen Dornenreichs zieht?
Dornenreichs Hauptintention war, ist und bleibt es, Momente äußerster Lebenswahrhaftigkeit, emotionalster Eindring-lichkeit und intensivster Betroffenheit in diese Welt(en) zu leiten. Dornenreich kommt einem ästhetisch-theatralischen Decknamen für „Gänsehaut“ gleich. Die geraffteste Weise unsere Intention klar zu machen ist ja: Gänsehaut statt Gänsemarsch. Genau so prangt es auch auf dem CD-Aufdruck zu „Her Von Welken Nächten“

Eure beiden ersten Alben sind ja via CCP veröffentlicht worden. Was hat Euch dazu bewogen, den Wechsel zu Prophecy zu vollziehen? Inwiefern passt Ihr in das Labelprogramm von Prophecy Pro-ductions? Zwischenzeitlich hieß es, ihr hättet bei Last Episode unterschrieben, was sich dann durch eine Newsmeldung im Last Episode Katalog 01/2000 zu bestätigen schien. Was gibt es dazu zu sagen?
Nach der Veröffentlichung unseres Zweitwerks „Bitter ist´s dem Tod zu dienen“ wurde es für uns unvermeidlich, mit CCP-Records zu brechen aufgrund eines – meiner Meinung nach – dogmatischen, leidenschaftslosen und künstlerisch inhaltslosen Labelkonzepts. Ohne Zweifel haben uns CCP-Records als erstes Label die Möglichkeit geboten, ein Album zu produzieren. Das werden wir ihnen immer zugute halten; was allerdings nach der Vertragsunterzeichnung ablief, war wenig berauschend (unzulängliche Promotion, fehlende Rücksprache…). In der Folgezeit holten wir mehrere Angebote ein, wobei wir auch Last Episode kontaktierten. Eine Zusage unsererseits erfolgte jedoch nie, weshalb sich voreilige Ankündigungen schlußendlich nicht bewahrheiteten.
Obwohl in dieser Zeit einige Angebote von markttechnisch größeren Firmen als Prophecy Productions bei uns eingelangt waren, entschieden wir uns schließlich ganz bewußt für Prophecy Productions und damit für Qualität, Hingabe, Glaubwürdigkeit, Mut zu Eigenständigkeit, absolute künstlerische Freiheit, für konstruktive Zusammenarbeit zwischen Band und Label und wir entschieden uns für die Menschen dahinter, die Dornenreichs Anliegen verstehen und auch persönlich schätzen. Ich kann dies ruhigen Gewissens behaupten, da ich die Leute hinter und rund um Prophecy geraume Zeit vor der Vertragsunterzeichnung persönlich kennenlernen durfte und ich ihre Arbeit während der letzten Jahre genau verfolgt habe. Ich denke, Prophecy stehen für professionelle Individualität und einen hohen sowie facettenreichen Anspruch in Ton, Silbe und Bild. Deswegen bin ich der Auffassung, daß sowohl Prophecy für Dornenreich, als auch Dornenreich für Prophecy eine wichtige Bereicherung darstellt.
Unser Verhältnis zur Prophecy-Belegschaft ist ausgesprochen gut, kommunikativ beiderseits respektvoll und konstruktiv. Eine besondere Wesensverbindung empfinde ich übrigens mit unserem Produzenten Markus, mit dem ich wohl nicht nur ganz zufällig meinen Familiennamen (Stock – Anm. d.Verf.) gemein habe.

Ihr habt mittlerweile auch ein paar Konzerte absolvieren können. Da ich nicht zugegen sein konnte, würden mich dazu natürlich die Details interessieren. Wie war der äußere Rahmen? Wie waren die Reaktionen des Publikums?
Wir boten – in Dreierbesetzung – arg tobende Versionen zu den nicht-akustischen Stücken des neuen Albums. Die Darbietungen verliefen ungemein ekstatisch und waren physisch extrem aufreibend. Die Reaktionen waren allerorts sehr gut. Allerorts sage ich, weil die fünf Konzerte, die wir bis jetzt gegeben haben, geographisch ziemlich verstreut stattfanden, und zwar in Innsbruck, Wien , Aalen, Essen und Rotterdam. Die beiden letztgenannten waren übrigens Konzerte im Rahmen der vergangenen Mayhem-Tour.

Wird es dergleichen in Zukunft und mit dem neuen Songmaterial auch geben? Ist gar eine Tour geplant?
Im Moment gibt es vielerlei Pläne, was Live-Aktivitäten betrifft. Fest stehen zum jetzigen Zeitpunkt jedoch ausschließlich die sogenannten „Fear of the Dark-Festivals“ zusammen mit Graveworm und Vintersorg zwischen dem 15. und dem 25. Februar 2001 (diese Tour wird meines Wissens hauptsächlich in Deutschland haltmachen) und drei Prophecy Productions – Konzertnächte mit Blazing Eternity und Mysterium, in deren Rahmen wir als Headliner auftreten werden, und die ebenfalls in Deutschland stattfinden werden. Von uns ist hierbei zu erwarten, daß wir uns in theatralischer Ekstase dem Moment hingeben werden, erneut zu dritt und mit – für die Livesituation dementsprechend – umarrangierten Versionen zu Stücken unserer bisherigen Alben.

Welche weiteren Zukunftspläne gibt es für Dornenreich oder auch die Beteiligungen einzelner Musiker bei anderen Projekten?
Wie im Booklet zu „Her Von Welken Nächten“ zu lesen, beabsichtigen wir ein Home-Video zu veröffentlichen, welches wohl relativ lang und abwechslungsreich werden wird, da wir seit den Aufnahmen zu „Nicht um zu sterben“ bei allen wichtigen (und unwichtigen) Erlebnissen in und um Dornenreich die Kamera dabei gehabt haben. Abgesehen von den gängigen Live- und Studioparts eines Home-Videos schweben uns noch einige innovative Abschnitte vor – man lasse sich überraschen. Darüberhinaus arbeiten wir bereits am vierten Album, das – zumal wir nun die (erste) Trilogie abgeschlossen haben – eine wohl völlig neue Seite Dornenreichs vorstellen wird können.
Gilvan ist ja bekanntlich in zahlreiche weitere Bands und Projekte miteingebunden, wohingegen sich Valnes nach wie vor ausschließlich Dornenreich widmet und ich mich nach wie vor in Angizia an Baß und Akustikgitarre befleißige.

dornenreich.com
www.prophecyproductions.de

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