Ancst Interview

Ancst

Die Berliner Black Metal/Crust-Formation Ancst ist eine dieser Bands, bei denen die Uhren niemals stillstehen: auf Veröffentlichung folgt eine Tour, auf eine Tour folgt die nächste Veröffentlichung – und manchmal passiert auch alles gleichzeitig. Wir unterhielten uns mit Mastermind Tom über die treibenden Kräfte hinter dem Projekt.

Wenn man einen Blick auf die Veröffentlichungsliste von Ancst wirft, ist der enorme Output der Band nicht wegzuleugnen. Es vergeht nicht ein Jahr, ohne dass mindestens zwei neue Werke erscheinen, seien es Alben, Splits oder EPs. Wie kommt es zu diesem außergewöhnlichen Maß an Produktivität?

Dafür gibt es mehrere Gründe, die den kreativen Output von Ancst in der Vergangenheit begünstigt haben. Zum ersten bin ich grundsätzlich Fan von dem Prozess, der mit einer neuen Veröffentlichung einhergeht. Sei es nun, die Musik zu schreiben und zu produzieren, mir ein neues Artwork auszudenken, das fertige Produkt zu konzipieren oder die ganzen administrativen Aufgaben zu steuern, die sowas mit sich bringt. Ich hab‘ da unglaublich viel Spaß dran.

Zum anderen habe ich mir die letzten 10 Jahre mein Leben um genau das herumgebaut. Wenig Einkommen, WG-Zimmer, ein flexibler Job und ein wenig Freelancen. Da kannst du oft selbst entscheiden, wann du was machst, wie und ob du es machst. Das räumt dir viel Freiheiten ein, ist aber auf Dauer keine Lösung. Geld muss her – und darum hab ich mich mittlerweile auch dazu entschieden, mir einen Full-Time-Job zu suchen, um der ewigen Armut zu entkommen. Ancst als 9-to-5-Job ist damit auch leider Geschichte fürs Erste -und dadurch wird 2018 auch höchstwahrscheinlich das letzte Jahr gewesen sein, in dem wir so viel veröffentlichten. Ein oder zwei Releases im Jahr peile ich trotzdem weiter an. Aber vier, so wie 2018, das schaffe ich so schnell nicht wieder.

Darum ist es in unseren Augen umso wichtiger, das Maul auf zu kriegen und Menschen aufzufordern, nicht wegzuschauen bei all der Scheiße, die überall gerade passiert.

Dann wird ja wahrscheinlich auch eure immense Live-Präsenz darunter leiden, oder? Apropos: wie hat sich nach deiner Einschätzung nach dem Weggang von eurem zweiten Sänger Torsten die Dynamik innerhalb der Band verändert? Gab es je Pläne, nach einem neuen zweiten Vokalisten zu suchen?

Nein, ich denke wir bleiben konstant bei unseren 30 bis 40 Konzerten im Jahr. Die Anderen befinden sich ja auch schon eine Weile im Full-Time-Job-Trott und wir haben es trotzdem geschafft immer mindestens eine Tour im Jahr und eine Vielzahl Einzelshows zu spielen. Aber ja: die Schlinge zieht sich trotzdem enger. Wir haben anfangs nach Ersatz für Torsten gesucht, aber alle potentiellen Kandidaten haben uns abgesagt. Meistens aus zeitlichen Gründen. Das war am Anfang eine krasse Umstellung und ich glaube, auch live ist uns da ein wenig was verloren gegangen. Aber ich bin mittlerweile sehr zufrieden mit dem Line-Up und denke, dass es sich sehen lassen kann. Wenn wir in Berlin spielen, kommt Torsten auch immer nochmal für Entropie auf die Bühne.
Gruppenintern hat sich kaum etwas verändert. Ich muss nur jetzt alle Texte selber schreiben und alles auf einen Sänger münzen. Aber zwischenmenschlich fehlt natürlich was, wenn wir unterwegs sind.

Wenn man sich die Texte zu den Songs eurer aktuellen EP „Abolitionist“ durchliest, entdeckt man dort Wut und Hilflosigkeit angesichts des alltäglichen, vermeintlich sinnlosen Daseins und der Rolle, die das lyrische Ich (bzw. das lyrische Du) darin spielt, aber auch harsche Kritik an rassistisch/nationalistisch orientierten Denkweisen – ein Konzept, welches Ancst, soweit ich weiß, schon länger umtreibt. Woher kommt die Inspiration für die Songtexte?

Zum einen nehmen die Texte Bezug auf unsere eigene Lebensrealität in der Stadt und in kapitalistischen Strukturen, zum anderen kommt man um das Thema Rassismus in Europa schon seit einigen Jahren gar nicht mehr herum. Die Presse ist voll davon, die sozialen Netzwerke sind geflutet mit diesem Thema und auch auf der Straße wird man damit konfrontiert. Ich sehe Ancst immer als ein Ventil, um Druck und Wut abzubauen. Wie du dir sicherlich vorstellen kannst, sind wir nicht besonders glücklich mit der politischen Entwicklung in Europa. Darum ist es in unseren Augen umso wichtiger, das Maul auf zu kriegen und Menschen aufzufordern, nicht wegzuschauen bei all der Scheiße, die überall gerade passiert. Der Rechtsruck wird uns alle betreffen, und ich bin mir sicher, dass die Politik, die AFD, Front National und all die populistischen Parteien in Europa verfolgen, für uns alle das Leben schwerer machen wird. Vor allem Menschen, die wegen ihrer Herkunft, ihrer politischen Ansichten, ihrer Religion oder ihrer sexuellen Präferenzen eh schon Außenseiterrollen in dieser Gesellschaft einnehmen, werden darunter leiden und mit weiterer Ausgrenzung rechnen müssen. Das ist in unseren Augen rückständig und entspricht in keiner Weise einer modernen aufgeklärten Gesellschaft, in der wir alle gern leben würden.

Versteht ihr euch auch als politisch motivierte Band – und bringt euch das bisweilen Ärger ein?

Wir verstehen uns auf jeden Fall als klar politische Band. Wir haben keine Angst davor, den Mund aufzumachen und auszusprechen, was uns ankotzt, auch wenn wir dadurch Leuten auf die Füße treten. Wem das zu hart ist, der kann gern Mark Forster hören gehen oder weiter zu Freiwild seinen deutschen Namen tanzen. Ich verstehe da auch viele modernen Bands nicht, die aus Angst vor schwindenden Verkaufszahlen lieber aktuelle prekäre Zustände totschweigen und sich unpolitisch geben. Wir sind schon immer in der Subkultur zu Hause gewesen, egal ob Metal, Punk oder Hardcore. Für uns bedeutet extreme Musik Gegenkultur. Wer sich die Zeit genommen hat, die Geschichte zu studieren, die unseren Szenen haben, der weiß, was ich meine. Rassisten und andere Ausgrenzer sind nie Teil davon gewesen und es liegt an uns, den Fans und den Akteuren dieser Subkulturen, dass das auch weiterhin so bleibt. Haben wir deswegen Stress? Nein. Unsere Shows stehen überall im Internet; wer diskutieren oder pöbeln will, kann kommen, aber bis jetzt beschränkt sich der Hate ausschließlich auf soziale Netzwerke und Message Boards – dort, wo man sicher vor dem Bildschirm die Fresse aufreißen kann.

Wenn man sich mit eurer Discographie auseinandersetzt, fällt auf, dass ihr auch regelmäßig Splits mit anderen Bands veröffentlicht. Sind das grundsätzlich befreundete Bands oder wie kommen diese Kooperationen zustande?

Ja, wir haben durchaus zu allen Bands ein freundschaftliches Verhältnis, mit denen wir Split-Veröffentlichungen hatten. Im Metal ist das gar nicht mal so gängig, glaub‘ ich, aber im HC-Untergrund ist das gängige Praxis.

Abseits eures Black-Metal-/Crust-/Hardcore-Sounds seid ihr ja auch im Ambient-Bereich unterwegs und veröffentlicht die Werke regelmäßig auf Tape. Die Musik ist nüchtern als „düster“ zu bezeichnen und würde sich sowohl gut als Soundtrack für Science Fiction- oder Dystopie-/Endzeit-Film als auch für Computerspiele aus diesem Genre eignen. Woher stammt die Leidenschaft für diese Art von Musik?

Ich bin seit Jahren großer Fan von Dark Ambient und Drone-Kram. Auch dystopische Fiktion sowie Sciene-Fiction gehören zu meinen Vorlieben. Ich habe mit Ambient-Veröffentlichungen schon lange vor Ancst angefangen und auch bei alten Bands von mir immer auf der Seite derartige Releases gemacht. Zu dieser Art von Musik bin ich durch das Tape-Trading gekommen. Ich habe früher in großen Mengen Tapes meines Labels mit Tapes von anderen Labels getauscht und dabei eine Menge tolle neue Nischen-Musik entdeckt. Irgendwann hab ich dann auch selbst angefangen, mit Synths herumzuspielen, habe eigene Sachen aufgenommen und veröffentlicht. Ich fand es cool, Ancst ein weiteres Gesicht zu geben und hab das dann einfach gemacht. Mittlerweile haben wir dadurch eine Liste an Releases, die natürlich auch eine ganz andere Art von Musikliebhabern anspricht. Aber auch langjährige Fans der Ballermucke konnten sich dafür über die Jahre erwärmen, was mich immer freut, da es mir ja nicht anders ging. Zustande kommen die Tracks in meinem Homestudio/ Schlafzimmer. Anfangen tue ich mit Strukturen wie Field Recordings oder psychoakustischen Sounds und lege dann Overdubs über die Texturen. Am Ende habe ich meistens ein Wust aus vielfach gelayerten Sounds, die für mich dann ein fertiger Song sind. Ich versuche, an die Nummer unter einem cineastischen Gesichtspunkt heranzutreten. In meinem Kopf läuft da durchaus ein Film ab.
Wir danken für das Interview!

ancstcollective.com
angstnoise.bandcamp.com

Foto: Band

 

Interview aus Eternity Nr. 24