Es begab sich einst in der allerersten Eternity-Ausgabe, daß eine Band mit dem klangvollen, mysteriösen Namen Tears of Mystigma vorgestellt wurde. Voller mysteriöser Klänge war auch damals schon die Musik der Norddeutschen, und daran hat sich seither trotz einiger stilistischer Änderungen nichts geändert. Nun hat die Band nach mehreren Demos und einer MCD ihre erste CD mit voller Spielzeit auf die Menschheit losgelassen…
Grund genug, bei dem Bruderpaar Jörg (Gitarre) und Torsten (Gesang) nachzufragen, was sich denn so in den letzten Jahren im Tears of Mystigma-Lager so alles getan hat.
Jörg: Wir sind Anfang 1996 ins Studio gegangen und haben die MCD ‘The Vanishing Sun’ eingspielt. Die Aufnahmen zogen sich damals ziemlich lange hin, so daß wir die MCD erst Anfang 97 herausbringen konnten. Anschließend gab es für uns einige Live Gigs, unter anderem mit Evereve und From Thy Ashes, außerdem nahmen wir im selben Jahr noch beim ‘Evil-Message’-Underground Contest teil. Ende 97 stieß auch unser Keyboarder Gunter zu uns. 1998 war für uns ein Katastrophenjahr, da wir Aufnahmen begannen, die für uns in einem regelrechten Desaster endeten. Auf Einzelheiten will ich hier gar nicht näher eingehen, nur soviel, daß wir mit einem Typen, der sich Produzent schimpfte, in einen schweren Konflikt geraten sind, da dieser Mensch folgenschwere Fehler begangen hat und dafür auch noch Geld sehen wollte…Zumindest haben wir aus dieser mißglückten Aufnahmesession 2 Stücke gerettet und diese Ende 98 veröffentlicht. 1999 trennten wir uns von unserem alten Drummer, und Jens stieß zu uns. Im selben Jahr waren wir auch live nicht so aktiv, sondern konzentrierten uns ganz auf das Schreiben neuer Stücke und starteten im November 99 mit den Aufnahmen, die wir komplett selber übernahmen. Im Juni 2000 gingen wir ins Studio und mischten die Sachen ab, so daß im Herbst ‘Reflect Projekt: Colder Side’ endlich fertiggestellt war. Und mit dem nun vorliegenden Ergebnis sind wir sehr zufrieden.
An dieser Stelle soll auch enthüllt werden, was hinter dem Bandnamen steckt.
Torsten: Nun, das Wort ‘Tears’ steht für die melancholische Seite unserer Musik, das Wort ‘Mystigma’ ist eine Eigenkreation und läßt sich in ‘my stigma’ aufsplitten, was soviel bedeutet wie ‘stigmatisiert’ oder von den negativen Seiten des Lebens gezeichnet zu sein.Wir haben zwischenzeitlich überlegt, unseren Namen zu ändern, da Tears of Mystigma 2000 eigentlich nichts mehr mit den Tears von damals zu tun haben. Wir haben den Gedanken dann aber wieder verworfen, da der Name einen guten Klang hat. Generell bin ich der Meinung, dem Namen einer Band nicht ganz soviel Bedeutung beizumessen. Wichtig sind die Musik und – wie ich denke – die Lyrics.
Auf eurer neuen CD ‘Reflect Project: Colder Side’ präsentiert sich die Band, wie beinahe schon gewohnt, im veränderten Soundkleid… wie kam es im einzelnen zu dieser Kurskorrektur?
J.: Für uns war es diesmal so, daß wir zum ersten mal unsere Vorstellungen und Wünsche ziemlich genau umsetzen konnten. Das lag in erster Linie daran, daß wir die kompletten Aufnahmen selbst übernommen haben und die ganze Scheibe auch selbst produziert haben. Daß wir jetzt anders klingen als vor 2-3 Jahren, ist für uns völlig selbstverständlich und als Prozeß der natürlichen Weiterentwicklung anzusehen. Desweiteren hat sich auch durch die Hinzunahme unseres Keyboarders unser Sound um einiges erweitert. Ein weiterer Grund, und für mich persönlich auch der ausschlaggebendste Punkt, ist die Trennung von unseren langjährigen Drummer Guido, die wie bereits erwähnt Anfang 99 vonstatten ging. In der Vergangenheit haben uns nämlich oft die bandinternen Konflikte, die durch die unterschiedlichen musikalischen Vorstellungen hervorgerufen wurden, in unserer Kreativität gebremst. Nichts gegen Guido als Mensch, denn wir verstehen uns nach wie vor, aber er paßte nicht mehr zu Tears of Mystigma.
Viele der Songs klingen, nicht zuletzt wegen dem klinischen Drumsound und den Keyboards, in meinen Ohren sehr kalt… empfindet ihr das auch so, und wenn ja, was reizte euch daran, diese beklemmende Atmosphäre einzufangen?
J.: Die Drums klingen teilweise in der Tat sehr kalt und – ja nennen wir es mal so – klinisch, wie auch die ganze Musik, wie ich finde. Und das war auch genau das, was wir erreichen wollten, nämlich eine finstere und melancholische Atmosphäre zu schaffen. Wobei ich finde, daß einige Stellen in den Stücken auch etwas relaxter klingen, wie z.B. ‘The Harvester’, ein ja fast schon ironischer Song, der mit einem gewissen Augenzwinkern zu verstehen ist, sowohl textlich als auch musikalisch. Uns haben düstere Atmosphären immer schon beeindruckt, und musikalisch können wir nichts anderes als eben solche zu erschaffen, so einfach ist das, hahaha.
Die Texte klingen passend zur Musik ebenfalls sehr verzweifelt und hoffnungslos…
T.: Genau wie die Musik haben sich auch die Lyrics im Vergleich zu unseren vorherigen Veröffentlichungen, wo sie doch immer sehr metaphysisch und symbolträchtig waren, verändert. Die Texte sind heute bedeutend direkter und realer. Sie beinhalten Themen wie den Niedergang des Individualismus in unserer Gesellschaft und die damit verbundene Desillusion (‘Disillusion’), Schuldgefühle (‘Guilt’) oder die in meinem Falle nicht enden wollende ‘Suche nach sich selbst’ (‘Cold Coloured’). Zum Teil sind die Lyrics persönliche Erfahrungen oder Beobachtungen, zum Teil habe ich aber auch versucht, mich in bestimmte Situationen oder Themen hineinzuversetzen. Der krasseste Text ist vielleicht ‘The Harvester’, welcher sich mit der depressiven Erkrankung beschäftigt. Und damit meine ich jetzt nicht diese normalen Stimmungsschwankungen, denen jeder mal unterliegt, sondern die reale psychische Erkrankung. Du mußt wissen, daß ich beruflich im pflegerischem Bereich tätig bin und somit häufig damit konfrontiert werde. Mit den Texten verhält es sich ähnlich,wie mit der Musik. Ich kann nicht anders texten. Aber um eins klarzustellen: Es gibt immer Hoffnung, sie ist das letzte, was stirbt, ich neige in meinen Texten eben nur sehr dazu, zu dramatisieren.
Auf eurer Homepage wird erwähnt, daß ihr auch von der Widersprüchlichkeit von Religion und Tod singt. Erklärt mir dieses Statement mal genauer. Was bedeuten Religion und Tod für euch persönlich?
T.: Der Song ‘Supreme Suffering’ beschäftigt sich mit der Widersprüchlichkeit des Todes. Zum einem fürchtet man sich sehr davor, emanden Nahestehenden zu verlieren, zum anderen neigt man dazu zu vergessen, daß der Tod auch eine Erlösung für die Person darstellen kann. Man denkt fast egoistisch und kann einfach nicht loslassen. Der Song ‘The Eve of Neptune’ beschäftigt sich entfernt mit Sterbehilfe. ‘I would be the tool if you would choose suicide, cause you`re unable to unchain your hands’. Zu Religionen habe ich nur einen negativen Bezug. ‘Subversive’ richtet sich gegen jede Form von Religion, hinter der sich oft nur Machtgier und eiskaltes Kalkül versteckt: ‘And my religion is not to believe; in better days or whatever you need’.
In welchem Verhältnis steht der Titel der CD dazu?
T.: Als wir das Album fertiggestellt hatten, fehlte uns nur noch ein passender Titel. Ich reflektierte also die Songs und die Texte und stellte genau wie Du fest, daß sie eine sehr kalte Seite von uns zeigen. So kam ich auf den Titel ‘Reflect Project: Colder Side’, was als Aufforderung an den Hörer zu verstehen ist. Mehr steckt eigentlich gar nicht dahinter.
Wie sieht denn die Liveumsetzung der neuen Stücke aus, reproduziert ihr die programmierten Parts auch auf der Bühne oder haut ihr den Zuschauern eine abgespeckte, direktere Version um die Ohren?
J.: Wir werden versuchen, die Songs auch live so zu bringen, wie sie auf der Platte klingen, d.h. wir werden versuchen, eine sehr harte, aber nicht abgespeckte Version zu präsentieren. Ein Sequenzer wird uns dabei unterstützen.
Ich habe es bereits angesprochen, von jedem neuen Tears of Mystigma-Release darf man eine stilistische Veränderung erwarten, von Deathmetal über Dark Millennium-Anklänge und straighteren Gothicmetal führte euch der Weg bis zu den düster-rockigen Klängen auf eurer aktuellen Scheibe… Würde Stagnation den Tod für Tears of Mystigma bedeuten?
J.: Eindeutig ja. Wenn wir merken würden. daß wir uns nicht mehr weiterentwickeln, dann könnten wir den Laden sozusagen dicht machen, denn wir haben keine Lust, uns selbst zu kopieren und die Leute zu langweilen. Für uns war und ist es immer die größte Herausforderung, den Sound zu erweitern und uns weiterzuentwickeln. Ich verstehe die Bands auch nicht, die ständig die gleichen Platten herausbringen..Mich würde das ziemlich langweilen.
Welche Tears of Mystigma-Veröffentlichung außer eurer aktuellen Scheibe mögt ihr denn im Rückblick am meisten? Ihr müßt euch für nur eine entscheiden, also keine Ausflüchte, he he… gemein, gell?
J.: Haha, wirklich sehr gemein von Dir…Nun, die alten Sachen dokumentieren recht gut unsere Wandlung und jede dieser Aufnahmen hat irgendwo ihre Berechtigung, da hinter allen immer harte Arbeit dahintersteckte und den jeweiligen Stand von Tears of Mystigma zu jener Zeit wiederspiegelt. Anhören kann ich mir die Sachen nicht mehr, aber ich denke aus heutiger Sicht, daß ‘The Vanishing Sun’ recht gute Ansätze mit sich trägt.
Ihr seid nun seit etlichen Jahren im Underground aktiv, woher nehmt ihr dieses Durchhaltevermögen trotz Rückschlägen wie dem mißglückten Studioaufenthalt vor einiger Zeit?
J.: In erster Linie ist es immer noch der Spaß an der Musik und die Herausforderung, sich als Band und als Musiker weiterzuentwickeln. Wenn wir merken, wir haben gute Songs am Start, dann wollen wir diese auch veröffentlichen. Wenn man dann auch noch positive Resonanzen auf die Musik bekommt, dann motiviert das natürlich umso mehr, weiterzumachen. Außerdem kommt bei uns auch immer noch so eine Art Trotzreaktion hinzu, bei der wir denken: ‘So, jetzt erst recht!’
Rechnet ihr noch damit, den Sprung in einen Plattenfirmenstall zu schaffen, oder macht sich nach all den Jahren da Resignation breit?
J.: Resignation macht sich noch nicht breit, aber wir sind Realisten. Uns ist natürlich bewußt, daß es unglaublich schwierig ist, ein attraktives Labelangebot zu bekommen. Aber man soll die Hoffnung bekanntlich nie aufgeben. Wir werden zumindest versuchen, mit unser aktuellen Scheibe alles herauszuholen, was machbar ist, das soll heißen, daß wir viel Promotion machen werden und möglichst viel live spielen wollen. Wir sehen die Dinge da ganz locker und schauen mal, was dann passiert. Die Existenz von Tears of Mystigma hängt nicht von einem Deal ab, obwohl die Zeit ja gegen uns arbeitet, denn wir sind ja auch nicht mehr die Jüngsten, haha. Ubrigens wollen wir 2001 schon wieder mit neuen Aufnahmen beginnen, um nicht wieder über Jahre von der Bildfläche zu verschwinden.
Eine Seltenheit seid ihr im weiten Gothicbereich sicherlich insofern, als daß ihr auf viele Klischees verzichtet und stattdessen die Musik für euch sprechen laßt. Kamt ihr nie in die Versuchung, beispielsweise eine photogene Sängerin in die Band zu integrieren?
J.: Doch, allerdings nicht als festes Mitglied, sondern lediglich als Gastsängerin, was selbstverständlich auch nicht neu ist. Wir haben uns dann aber wieder schnell von den Gedanken verabschiedet, da wir merkten, daß unsere aktuellen Stücke auch ohne Sängerin hervorragend funktionieren. In Zukunft ist es aber nicht völlig ausgeschlossen, daß wir mal mit einer Sängerin arbeiten, da wir recht offen sind. Mir schwebt dann allerdings eine äußerst düstere, morbide Umsetzung vor, ähnlich wie Dead Can Dance arbeiteten, mal schauen….
Torsten und Jörg…ein Bruderpaar zusammen in einer Band, kann das gutgehen? Oder ist es gar ein Vorteil?
J.: Nun, in unserem Fall funktioniert das sogar sehr gut, da mein Bruder und ich (fast) immer auf einer Wellenlänge liegen. Natürlich ‘kracht’ es auch schon mal zwischen uns, aber dies sehe ich nur als Vorteil an, denn wo Reibungspunkte sind, da entsteht etwas Intensives, an dem hart gearbeitet wird. Im Falle Tears of Mystigma würde ich unsere Bruderkonstellation als großen Vorteil bezeichnen.
Hat jemand von euch auch ein Nebenprojekt am Start?
J.: Unser Keyboarder Gunter spielt noch nebenbei in einer zweiten Band, er macht da mehr so eine normale Rockgeschichte. Im Moment planen wir aber etwas, ein Projekt welches aus einigen Tears of Mystigma-Mitgliedern besteht, musikalisch aber in eine deutlich härtere Richtung geht. Einige Ideen existieren auch schon, ich möchte da aber noch nicht mehr verraten….
Welche CDs konnten euch in letzter Zeit so richtig begeistern?
J.: Leider nicht so viele, da ich finde, daß richtig gute Scheiben selten geworden sind, zumindest in dem Bereich, in dem auch wir tätig sind. Außerdem ist der ganze Markt so voll und unübersichtlich geworden, daß es einem schwerfällt, den Überblick zu behalten. Ich überlege auch immer sehr genau, ob und welche Scheibe ich mir überhaupt zulege. Die letzte Farmer Boys ist ein Lichtblick, wirklich sehr gut, oder auch Vast, dessen letzte Scheibe wie auch deren erste. Viele der letzten CDs, die ich mir zuletzt zulegte, stammen aus ganz anderen Bereichen, z. B. waren einige Soundtracks dabei oder auch Musik von den Tindersticks.
Was können wir in Zukunft musikalisch von euch erwarten? Ist schon eine neue Weiterentwicklung auszumachen?
J.: Momentan ist es noch zu früh, um genau zu sagen, wie die nächste Platte klingen wird. Zur Zeit haben wir aber bereits wieder zwei neue Stücke fertig, die die auf ‘Reflect…’ eingeschlagene Richtung konsequent weiterführen. Ich denke, daß unsere nächste Scheibe noch facettenreicher wird, denn wir wollen unseren Sound noch um einiges erweitern. Ich hoffe, daß wir mit unserem nächsten Album einerseits sehr heavy und extrem düster, andererseits vielleicht auch noch ein wenig zugänglicher werden. Ich denke, die Mischung macht’s, das werden wir versuchen….
Versetzt euch doch mal in die Traumsituation, euch aussuchen zu können, mit wem ihr auf Tour gehen könntet…welche Bands wären da eure Wunschkandidaten?
J.: Ich kann ja jetzt nur für mich sprechen, aber ich persönlich würde bei einem Angebot von Moonspell oder Paradise Lost nicht den Hauch einer Sekunde nachdenken. Trotz aller Kritik, die beide Bands in den letzten Jahren über sich ergehen lassen mußten, bleiben sie für mich ganz wichtige Stützen in dieser dunklen Rockszene, die von beiden Bands meiner Meinung nach ganz entscheidend mitgeprägt wurde.
Was wollt ihr abschließend noch loswerden?
T.: Oh, last words. Also einen Gruß an das gesamte Eternity-Team und seine Leser. Checkt unser Album doch mal an. Wendet euch an unsere Kontaktadresse oder ans Eternity,wo es die Scheibe über Mailorder zu beziehen gibt.
Na, wenn das mal kein Kaufanreiz ist, hehe… Wer die sympathischen Jungs direkt kontaktieren will, wende sich an:
Jörg Bäumer, Haarstr. 7, 49509 Recke Steinbeck, jb@tears-of-mystigma.de. Im WWW ist die Band mittlerweile auch vertreten unter www.tears-of-mystigma.de.
www.tears-of-mystigma.de
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