Song By Song: Alexander Paul Blake von Eden Weint Im Grab über „Geysterstunde I“

Mit „Geysterstunde I – Ein poetisches Spektakel zu Mitternacht“ legten die Berliner Düster-Metaller Eden Weint Im Grab jüngst ein interessantes viertes Album vor, das lyrische Spukgeschichten mit den Mitteln von Gothic und Black Metal, Doom, Walzer, Tango, Hörspielanleihen, Jahrmarktsklängen sowie Filmmusik erzählt. Kreativkopf Alexander Paul Blake gewährte uns Einlass in das EwiGe Gruselkabinett und erläuterte die einzelnen Stationen.

1. Geysterstunde
Zu Mitternacht öffnen sich die Gräber und die Untoten kriechen empor, um die Lebenden im Schlafe heimzusuchen. Am Morgen hört man sie dann schmatzen unten in ihren Särgen. Dieses uralte Vampirmotiv wird hier mit viel schwarzem Humor aufgearbeitet, um klassisch in die „Geysterstunde“ einzuführen. Zentral ist dabei die Zeile „Wir sind Gott in der Gestalt wilder Tiere / vom Ursprung entzweit, entseelte Vampire“, die im Grunde mein gesamtes Bild der entwurzelten Menschheit auf den Punkt bringt. Musikalisch insofern ein interessantes Experiment, weil der Song nur auf einer Grundharmonie basiert.

2. Moritat des Leierkastenmanns
Auch die „Moritat des Leierkastenmanns“ fußt im Grunde nur auf einer Harmonie (mit kleineren Variationen), um den leiernden Charakter des Textes zu unterstreichen. Der Leierkastenmann steht seit vielen hundert Jahren verfallend auf einem Jahrmarkt (daher auch die Jahrmarktselemente im Song!) und wünscht sich nichts sehnlicher, als von den Menschen wahrgenommen zu werden. Doch sie ignorieren ihn. Ein Paradox, denn bevor seine Musik kein Gehör findet, kann er nicht zur Ruhe kommen. Ein Sinnbild für viele Künstler …


3. Armee der Wiedergänger
Und gleich noch ein EwiGer Zirkelschluss. Diese finstere Armee kämpft seit Äonen fürchterliche Kriege, hat den wahren Kriegsgrund aber längst vergessen. Der Krieg ist in dieser düsteren Parallelwelt also zu einem Selbstzweck verkommen. Wie gut, dass es in unserer diesseitigen Welt ganz anders ist und wenigstens hier die Vernunft regiert. Passend zur Thematik der martialischste Song, den wir jemals aufgenommen haben – mit großem Schlachtenfinale.

4. Die Knochenmühle
Hier spuken die Geyster um eine Mühle, in welcher der Müller statt des Korns die Knochen der Toten mahlt, denn den Menschen geht der Genuss über die Moral und sie scheren sich nicht darum, woher das köstliche Brot stammt. Ernährungskritik à la EwiG. Es handelt sich dabei um eine morbide Umdichtung des Kinderliedes „Es klappert die Mühle am rauschenden Bach“ und die erste von drei Gedichtrezitationen auf dem Album, die von dunklen Soundtrackklängen im 6/8-Takt untermalt wird.

5. Ein Requiem In Sepia
Eden Weint Im Grab von einer doomigen und eher melodischen Seite mit viel Klargesang. In dem sehr poetischen Text wird an die Geyster zu früh Verstorbener erinnert, die wieder eins geworden sind mit dem Kreislauf der Natur und nun aus den Blättern der Bäume ihre Lieder singen und den Lauf der Welt beklagen. In unseren Erinnerungen indes sind sie verblasst wie alte Fotos in Sepia.

6. Feuer-Inferno (Vision Swedenborgs 1759)
Ein aus rhythmischer und melodischer Hinsicht sehr interessantes Stück, das mir besonders am Herzen liegt. Mit grabestiefem Sprechgesang wird eine Episode aus dem Leben des schwedischen Mystikers Emmanuel Swedenborg erzählt, der 1759 bei einer Gartenparty einen zeitgleichen Brand im entfernten Stockholm bis aufs kleinste Detail beschrieb – wohlgemerkt in einer Zeit ohne Fernseher. Für mich ein untrügliches Zeichen, dass wir den Geyst Swedenborgs wieder mehr in unser modernes, ach so rationales Weltbild integrieren sollten, das uns jeglichen Zaubers beraubt hat.

7. Nautilus
Eine sonderbare Besatzung dreht seit vielen vielen Jahren am Grunde des Ozeans in einem U-Boot ihre Runden. Gewissermaßen eine Unterwasservariante des Fliegenden Holländers, denn diese Toten wurde einst verflucht und müssen nun bis in alle Ewigkeit in der Dunkelheit ihrem Schicksal trotzen. Auch hier wieder sehr doomige Passagen, die sich gegen Ende in blackmetallische Wut verwandeln, unterlegt von klaustrophobischen Echolotgeräuschen.

8. Der Galgenvogel
Der nächste Ausflug in die Tiefen der Poesie. Dort treffen wir auf einen gierigen Galgenvogel, der aus seinem öden Leben erzählt, das daraus besteht, auf die Ankunft der zum Tode Verurteilten zu warten, um sich nach der Vollstreckung des Urteils an ihren Leibern zu sättigen, während die Seelen emporsteigen. Lehnt sich an den Hörspielcharakter unseres Albums „Der Herbst des Einsamen“ an.

9. Gespenster-Revue im Theater Obszön
Ähnlich wie der „Leierkastenmann“ ein Song im 6/8-Takt mit Jahrmarktselementen, die mit Metal eine unheimliche Fusion eingehen. Hier entführen wir den Hörer in ein mysteriöses Theater, das zu Zeiten des Théâtre du Grand Guignol in Paris hätte stehen können. Leider können wir dem Hörer nicht garantieren, dass er aus diesem Etablissement wieder lebend heraustritt, denn dort tanzen die Toten Revuen – und irgendwo muss der Nachschub ja herkommen.

10. Friedhof der Sterne
Und damit begeben wir uns in die Zeit der Romantik und empfinden die Sehnsucht nach Transzendenz und Einheit mit dem Unendlichen aus der Sicht eines Liebeskranken nach, der seiner verstorbenen Geliebten nachtrauert und ihren Geyst in den Sternen, im Mond und im Nebel – letztendlich in allem – zu sehen glaubt und damit vielleicht gar nicht so falsch liegt. Eden Weint Im Grab von einer besinnlichen Seite.

11. Irrfahrt durchs Leichen-Labyrinth
Fiel eben das Wort „besinnlich“? Damit kein falscher Eindruck aufkommt, schieben wir diese Irrfahrt durch eine Geysterbahn der anderen Art nach. Eine rasante Fahrt, die nicht nur den Protagonisten ordentlich durchrüttelt, sondern auch den Rezipienten. Und wie nicht anders zu erwarten, gibt es auch aus diesem Labyrinth kein Entkommen mehr, wenn das große Tor erst einmal zugefallen ist. Wobei, es gibt einen Ausweg, aber den verraten wir nicht, der obliegt der eigenen Interpretation …

12. Taphephobie
Nun empfiehlt es sich, vor dem Weiterlesen kurz das Wort „Taphephobie“ nachzuschlagen. Richtig, die Angst vor dem lebendig Begrabenwerden steht bei diesem Poesie/Hörspiel-Stück im Fokus. So laden wir euch ein auf einen nächtlichen Spaziergang über einen Grabesacker, auf dem man – wenn man ganz leise ist – die Toten unten an ihren Sargdeckeln kratzen hört. Man hat ihnen sogar Glocken auf die Gräber gestellt, damit sie an den Fäden ziehen können, vorausgesetzt sie sind dazu in der Lage. Dummerweise reißt dann der Faden, weil die „Toten“ zu heftig ziehen. Aber heim finden sie dennoch alle irgendwie.

13. Tango Mortis
Diesen Todestango musste Jan Lubitzki, seines Zeichens ehemaliger Sänger von Depressive Age, mit uns tanzen bzw. ließen wir ihn in der Rolle des Protagonisten über seinen letzten Tanz mit dem Tod singen. Meine Wenigkeit in der Rolle des Sensenmanns war ebenfalls eine interessante Erfahrung. Und ob man es glaubt oder nicht, wir haben hier tatsächlich Tango-Elemente und melodischen Death Metal fusioniert. Ich war selbst überrascht, wie gut das funktioniert.

14. Der Nachtalb – Eine finstere Heimsuchung
Kurz vor Ende ziehen wir das Tempo noch einmal an und heften uns an die Fersen einer verirrten Seele, die sich in den Tiefen eines nächtlichen Waldes verlaufen hat und immer mehr dem Wahnsinn anheim fällt. Ein Song, den man so auch auf unseren ersten beiden Alben, „Traumtrophäen Toter Trauertänzer“ und „Trauermarsch Nach Neotopia“, hätten finden können, wenn sich der Protagonist nur etwas früher verlaufen hätte.

15. Gang durch ein modriges Beinhaus
Eine interessante Anekdote zu diesem Ausklang des Longplayers am Rande: Es gibt ein Gedicht von mir, das auf den Titel „Gang durch eine verlassene Spukvilla“ hört. Keinerlei inhaltliche Verbindung, aber ein ähnlicher Titel. Und genau diesen hatte ich beim gedankenverlorenen Ausfüllen einer Titelmeldung für den Online-Vertrieb wohl im Kopf, sodass das Stück nun auf einigen Plattformen auf einen falschen Namen hört, haha. Der doomig-epische Song ist einer der wuchtigsten auf dem Album und beginnt im Zeitlupentempo. Sehr stolz sind wir auch auf das hypnotische, bewusst monotone Finale der Nummer, das man locker noch einige Minuten hätte ausdehnen können, aber wir wollten die Hörer nicht überfordern. Inhaltlich geht es um einen alten Mann, der nach vielen Jahren in ein altes Haus zurückkehrt und von spukenden Kinderseelen, deren Körper er dort selbst eingemauert hatte, heimgesucht wird.

Mehr von Eden Weint Im Grab:
www.edenweintimgrab.de
www.facebook.com/edenweintimgrab
www.myspace.com/edenweintimgrab

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