Tenhi Interview

Obwohl zarter Natur ist die musikalische Mischung von Tenhis Debutalbum, dessen Veröffentlichung – einer mächtigen Detonation gleich – eine wahre Begeisterungswelle in der Metalwelt ausgelöst hat. Klassisch angehauchte Arrangements gepaart mit tiefer Emotionalität bilden die Basis für eine wahrhaft perfekte Umsetzung eines nordischmystischen Naturszenarios. Wuchtige Passagen wechseln sich ab mit simpel gestrickten Parts, die aufgrund ihrer Klarheit und Reinheit in Ausdruck und Klang bestechen. „Kauan“, so der Titel des Meisterwerks dreier finnischer Musiker, ist ein Klangerlebnis, das synästhetisch erfahren werden kann – man spürt förmlich den Nebel auf der Haut, lauscht dem Plätschern des Wassers, riecht den würzigen Duft der Wälder. Angesichts der Originalität und Intensität des Werkes ist es kaum zu glauben, daß sich bei „Kauan“ um das Debut einer jungen Band handelt. Einmal mehr wird deutlich, daß für Innovation der Nachwuchs verantwortlich ist – Grund genug für das Eternity, sich auf die Suche nach den Wurzeln der kreativen Finnen zu begeben.

Der Grundstein für Tenhi wurde im Jahr 1996 gelegt, als Tyko Saarikko (Synth, Gitarre, Gesang und Effekte) seinen Freund Illka Salminen (Drums, Gesang und Gitarre) fragte, ob dieser nicht bei einigen seiner Kompositionen den Schlagzeugpart einspielen wolle. Mit Ilmari Illakainen (Baß, Gitarre, Flügel, Perkussion und Hintergrundgesang), der zu diesem Zeitpunkt mit den beiden Musikern studierte und ein Jahr später zur Band stieß, waren Tenhi komplett. In der Violinistin Elenora Lundell fanden die Finnen jedoch eine Mitstreiterin, die das klangliche Spektrum der Band erweiterte und daher zu einem wichtigen Bestandteil Tenhis geworden ist – wenn auch kein festes Bandmitglied.
Erstes musikalisches Lebenszeichen der Band war das „Kertomuksia“ Demo, auf welches ein inoffizielles Promo-Tape folgte. Tyko ist noch immer sehr zufrieden mit den ersten Gehversuchen Tenhis, zumal die Band zum Zeitpunkt der Demo-Aufnahmen noch ein Duo war.
Die „Hallavedet“-Mini schlug wie eine Bombe im Metal-Underground ein. Obwohl die Finnen eher zarte Töne anschlugen, heimsten die Nordlichter doch überaus euphorische Kritiken ein. Dennoch verspürten Tenhi bei den Aufnahmen zu heiß ersehnten Debutscheibe keinen Druck. „Wir konnte uns völlig frei entfalten – dies liegt nicht zuletzt daran, daß wir nur einige wenige Reviews zu „Hallavedet“ gelesen haben. Aber wir würden uns ohnehin nicht von anderen Meinung beeinflussen lassen, zumindest nicht in der Art und Weise, daß sie unsere Kreativität einschränken könnte“, gibt sich Tyko selbstbewußt. Die Finnen scheinen sich ohnehin nicht allzu sehr mit der Metal-Journaille und der Szene allgemein auseinanderzusetzen. „Ich höre kaum noch Heavy Metal, obwohl ich Anfang der Neunziger auf Bands wie Iron Maiden, Megadeth, Manowar oder Death gestanden habe und noch immer der Meinung bin, daß die „alten Helden“ die neuen Bands die Youngsters qualitativ um Längen schlagen. Daher birgt der Begriff „Heavy Metal“ für mich immer etwas Nostalgisches in sich“, erzählt der Multiinstrumentalist. Es stört den Finnen daher auch manchmal, daß aufgrund der Promotion hauptsächlich Metal-Fans auf Tenhi aufmerksam werden. „Zum Teil ist es wirklich eine Schande, daß Nicht-Metaller kaum die Gelegenheit haben, Tenhi kennenzulernen“. In der Tat – jedoch stellt sich die Frage, ob in der schnellebigen Zeit überhaupt noch jemand die Zeit hat, sich näher mit der komplexen Songstruktur und den unterschiedlichen Stimmungen beschäftigen, wodurch sich die Intensität des Albums erst erfahren läßt. „Kauan“ erscheint weniger als Aneinanderreihung von Liedern, sondern als Konzeptalbum. Als Hörer vermag man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß die Platte in einem Stück aufgenommen wurde, nur um die spezielle Atmosphäre nicht verloren gehen zu lassen.

Ganz ohne physische und psychische Ruhepausen ist das Debut der Finnen allerdings nicht entstanden, wie Tyko, dessen verrücktestes Erlebnis es war, nach einem Saunabesuch nackt in einem herausgesägten Loch eines zugefrorenen Sees zu baden (der finnische Begriff dafür lautet „avanto uinti“), zu berichten weiß. Allerdings haben einige Stücke während der Aufnahmen eine gewisse Eigendynamik entwickelt: „Songs wie „Taival“, „Näkin Laulu“ oder „Soutu“, die stark emotional geprägt sind, sind spontan im Laufe der Aufnahmen ausgebaut worden. Andere Stücke hingegen warn genau strukturiert und geplant, noch bevor wir in das Studio gegangen sind.“
Nicht nur schmückendes Beiwerk, sondern essentieller Bestandteil von Tenhis Liedern sind die Texte, verwendet das Trio doch selbst bei Instrumentalstücken ein Gedicht als Pendant zu den Kompositionen. Die Band bedient sich fast ausschließlich der finnischen Sprache – jedoch nicht etwas, weil sie des Englischen nicht mächtig wäre, sondern aufgrund der Tatsache, daß „Kauan“ nicht nur musikalisch die Stimmung der nordischen Landschaft transportiert, sondern sich auch inhaltlich mit volkstümlicher Mythologie auseinandersetzt. Zudem verwendet Tyko eine spezielle äußere Form in seinen Gedichten, die sich in einer Fremdsprache nicht wiedergeben lassen würde – daher sind die englischen Passagen auf „Kauan“ keine reinen Übersetzungen des finnischen Originals, sondern (leicht) abgewandelte Versionen.
Da viele Stücke einen sehr persönlichen Charakter aufweisen, dürfte es für den Hörer – nicht nur aufgrund mangelnder Fremdsprachenkenntnisse – relativ schwer sein, die Essenz der Songs zu erfassen. Tyko führt daher die Konzepte einiger seiner persönlichen Lieblingsstücke näher aus: „Das Gedicht, das zum letzten Song des Albums, „Soutu“, gehört, handelt von der Spiegelung des Lichtstrahls, der sich beim Auftreffen auf eine Wasseroberfläche bricht. Ich liebe den starken Kontrast zwischen dem einfachen, ruhigen, fast minimalistischen Zeilen und dem breitgefächerten, monumentalen Arrangement des Stückes. „Näkin Laulu“, der erste Tenhi-Song, der jemals geschrieben wurde und gleichzeitig eines meiner Lieblingsstücke, ist mythologisch orientiert und erzählt die Geschichte eines bösen Wassergeistes, der durch seinen Gesang die Menschen dazu bringt, sich im See zu ertränken. Das beste Gedicht auf „Kauan“ ist meiner Ansicht nach „Taival“. Obwohl das Hauptthema der Tod ist, finde ich die Personifizierung des Gefühls „Leid“ das eigentlich Faszinierende an dem Text. In alten Erzählungen findet sich die Übertragung von Stimmungen und Gefühlen auf eine vermenschlichte Gestalt sehr oft wieder.“
Ist bereits die Transformation dieser mentalen Assoziationen in akustische Form kein leichtes Unterfangen, dürfte sich die Umsetzung in ein Live-Szenario noch um einiges schwieriger gestalten. Diese Frage stellt sich für die sympathischen Finnen im Moment jedoch noch nicht, obwohl Tyko gerne einmal vor einer kleinen Anzahl von Musikliebhabern und Freunden an einem dämmrigen Sommerabend am See spielen möchte. „Im Moment haben wir jedoch weder Zeit zum Üben noch die Session-Musiker, die nötig wären, um „Kauan“ auf der Bühne umzusetzen“, sagt Tyko ein wenig resigniert.
Schade, wäre es doch überaus interessant zu sehen, wie sich die Atmosphäre der Platte durch die Spontaneität der Livesituation verändert. Denn gerade Flexibilität und Originalität sind Charakteristika, die Tyko sehr am Herzen zu liegen scheinen. „Eine gute Platte sollte den Stempel des Komponisten tragen“, so der junge Finne, der Tenhis Musik am ehesten als „düsteren, folk-orientierten Prog“ bezeichnen würde. „Außerdem ist es wichtig, daß man bei jedem Durchlauf etwas Neues entdecken kann und niemand anderes den gleichen Sound, die gleiche Stimmung erzeugen kann. Auch darf man sich nicht limitieren lassen. Zwar gibt es eine Reihe von Stilrichtungen, deren Elemente mit Sicherheit nie in Tenhi integriert werden, aber wir sind offen für neue Einflüsse. Auf unserer nächsten Veröffentlichung wird zum Beispiel ein Stück namens „Kielonkukkia“ vertreten sein, auf dem wir mit Ambient-Samples experimentieren. Allerdings wird sich die Grundstimmung nicht verändern – für Tenhi war und ist es stets ein besonderes Anliegen (gewesen), eine mystische Atmosphäre aufkommen zu lassen und den Hörer auf eine ihn inspirierende Reise zu schicken. Daher muß alles stimmen: sowohl die Kompositionen an sich, als auch die Texte/Gedichte und das Booklet. Ich als Künstler möchte daher nicht nur völlige Gestaltungsfreiheit bei der Musik und dem späteren Abmischen haben, sondern auch was die Aufmachung meiner Werke angeht.“ Nicht weiter verwunderlich, liegen Tykos Wurzeln doch eigentlich in der optischen und nicht der akustischen Umsetzung kreativer Ideen. Seit frühester Jugend hat er sich gestalterisch betätigt, viele Bilder gezeichnet bzw. gemalt und zahlreiche Skulpturen angefertigt. Mit Musik beschäftigt sich der Finne erst seit knapp fünf Jahren intensiv. Daher steht eher die Kunst an sich, denn die Band im Mittelpunkt seines Lebens. Dennoch hängt Tyko an Tenhi (einem altfinnischen Begriff für „Hexe“ oder „Schamane“): „Aus verschiedenen persönlichen Gründen war ich oft nahe daran, die Musik an den Nagel zu hängen. Aber ich habe immer wieder einen Grund gefunden, der mich darin bestärkt hat weiterzumachen trotz aller widrigen Umstände. Manchmal ärgern mich Dinge an der Band – zum Beispiel wollte ich unbedingt, daß „Kielonkukkia“ bereits auf „Kauan“ veröffentlicht wird, aber der Mix war einfach nicht gut genug. Das hat mich wirklich tierisch genervt. Auf der anderen Seite war es aber wirklich sehr gut, denn durch die neuen Aufnahmen ist das Stück weitaus besser gelungen – das ist die Kehrseite der Medaille. Ebenso gibt es Momente, die einfach phantastisch sind und in denen alles perfekt läuft. Diesen Sommer haben wir ein neues Stück namens „Kiwen Kierto“ aufgenommen. Anfangs hatten keiner von uns auch nur den Hauch einer Idee, wie der Song klingen sollte und während der zwei Aufnahmetage waren wir total betrunken. Das Stück hat sich ganz spontan entwickelt und alle waren absolut zufrieden mit dem Ergebnis. Es ist eben ein ständiges Auf und Ab.“ Die Ziele, die sich Tyko mit der Band erreichen möchte, sind daher nicht zu hoch gesteckt: “ Mein Wunsch ist es, mit Tenhi es zu erschaffen, daß mich auch nach Jahren noch zufriedenstellt – nicht mehr und nicht weniger.“
KONTAKT:
Tyko S., Email: Tsaarikko@hotmail.com

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