
In den letzen Monaten habe ich nur wenige Alben so häufig gehört wie „Perdition Portal“ von Fragments Of Unbecoming. Von dieser Melodic Death Metal Granate kann ich einfach nicht genug bekommen. Umso unbegreiflicher finde ich es, dass der Band in 19 Jahren Bandgeschichte relativ wenig Beachtung geschenkt wurde. Diesbezüglich muss ich mir auch an die eigene Nase fassen, denn ein Interview war überfällig. Obwohl mir alle Alben der Band gefallen, ist das letzte Interview schon siebzehn Jahre her. Grund genug, der Band einige Fragen zu senden, die Bassist Christopher mir bereitwillig beantwortet hat..
Hallo, wie geht es euch? Wenn ich das richtig beobachtet habe, dann hat eure aktuelle Langrille „Perdition Portal“ überall gute Kritiken bekommen. Seid ihr zufrieden? Und was hat sich nach der Veröffentlichung sonst getan?
Hi Katja, uns geht es super, danke. „Perdition Portal“ kam tatsächlich in den Reviews überall ziemlich gut weg. So einen richtigen Verriss habe ich zumindest nirgendwo gelesen. Wir sind aber auch immer noch wirklich sehr zufrieden mit dem Album. Es ist, vor allem klanglich, eines unserer stärksten Alben in der Diskographie. Wir haben momentan auch quasi mehr als die Hälfte der Setliste mit neuen Songs gefüllt und zocken die wirklich noch sehr gern. Wir haben zur Releaseparty mit Tobias (Spheron, Ex-Maladie) einen Drummer für unsere Liveauftritte eingelernt, der Ingo in 2018 und 2019 live ersetzt. Ingo hatte eine Verletzung am Knöchel und musste erst wieder fit werden. Deshalb gab es auch Bandfotos mit 6 Leuten drauf.
Nach eurem letzten Album „The Art Of Coming Apart“ habt ihr euch fast sechs Jahre bis zum neuen Album Zeit gelassen. Gab es neben Familiengründungen und Jobstress noch andere Gründe für die längere Pause?
Nein, im Grunde nicht. Neben Hauskäufen und Familienzuwachs rückte die Band, die ja für uns alle Hobby ist, etwas in den Hintergrund. Stefan hat in der Zeit aber wirklich viele Lieder geschrieben, sodass wir dann aus einem größeren Vorrat an Songs schöpfen konnten als bei jeder Platte zuvor. Teilweise wurden dann Songs, die wir schon einstudiert hatten, wieder rausgeschmissen, weil sie einfach nicht mehr in das finale Konzept passten. Mal sehen, ob die jetzt für das kommende Album noch Verwendung finden.
Eigentlich habt ihr die Zeit ja ganz gut überbrückt, da vorher noch die Split und das Advance-Tape rauskamen. Mögt ihr zu den Veröffentlichungen noch etwas erzählen?
Die Split mit December Flower war eine tolle Sache, die ja im Rahmen der „Imperial Anthems“-Reihe von unserem damaligen Label Cyclone Empire erschien. Leider lösten sich December Flower kurz nach dem Recording auf, sodass die Promotion der Platte etwas schwierig war bzw. ist. Die Tape-Sachen sind für uns immer wieder schön, gerade weil Sascha sich unheimlich Mühe mit einer tollen Gestaltung des Covers und der gesamten Aufmachung macht. Ein Tape im Pappschuber in Kupferbedruckung habe ich zumindest noch nirgends gesehen.
Sascha hat neben einem Gespür für gute Songs auch ein super Geschmack und Ideenreichtum, was Design angeht.
Auf der Bühne lasst ihr euch auch nicht oft blicken, oder? Obwohl sich in der Beziehung gerade etwas tut. Neulich habt ihr in Mannheim und Weinheim gespielt. Wie sind die Konzerte gelaufen?
Mannheim stimmt, Weinheim leider nicht. Tatsächlich ist unsere Livesituation gerade ein rotes Tuch. Wir haben zu „Perdition Portal“ gerade mal drei Gigs gespielt. Es lief in dieser Hinsicht einfach alles schief. Wir hatten drei Anläufe eine Tour zu spielen, jedes Mal haben dann verschiedene Umstände, die nicht in unserer Hand lagen, dazu geführt, dass in letzter Minute alles wieder abgesagt werden musste. Die Veröffentlichung der Platte lag zudem ungünstig, da alle Sommerfestivals für 2018 schon gebucht waren. Da mit dem letzten Gig beim „Death Rages On“ alle Auftritte gelaufen sind, konzentrieren wir uns jetzt auf das Schreiben einer neuen Platte. Wir schauen einfach nach vorne in die Zukunft.
Kommen wir zu „Perdition Portal“. Wie denkt ihr mit etwas Abstand über das Album? Auf welche Weise unterscheidet es sich von den anderen Alben? Wie würdet ihr eure Entwicklung beschreiben?
Wie vorhin schon gesagt, ich persönlich liebe die Songs noch immer. Es ist zwar etwas weniger melodisch als vielleicht die „Sterling Black Icon“, aber die Dynamik innerhalb der Songs ist unglaublich. Welche Killer-Riffs da aus Stefans Feder flossen, das ist wirklich beeindruckend. Der beste Beweis ist eigentlich, dass wir uns selbst das Album immer noch von Zeit zu Zeit anhören. Auch Sam hat seine Gesangslinien diesmal besonders gut ausgearbeitet und hat wirklich einige Ohrwürmer kreiert.
Ja, das stimmt wohl. Möchtet ihr etwas über die Aufnahmen im Kohlekeller Studio erzählen?
Kohle ist ein wirklich toller Typ! Wir haben vorher lange diskutiert, welchen Sound wir haben wollen und wie das Album klingen soll. Da gibt es immer wieder Diskussion zwischen Old School und Moderne, ha ha. Es war auch die Befürchtung, dass unser Album total nach Aborted oder Benighted klingt, da diese Alben gerade erschienen und dort gemischt wurden. Am Ende hat er einfach einen Vorschlag gemacht und wir hätten sogar die Pre-Production schon auf Platte pressen können. Wir haben es, soweit ich mich erinnern kann, quasi 1:1 abgesegnet. Und es klingt wirklich nach einer tollen, transparenten aber gleichzeitig nicht zu klinischen Produktion.
Eure Songs sind abwechslungsreich mit unverkennbarer eigener Note. Außerdem sind alle Songs auf „Perdition Portal“ Hits. Wie macht ihr das? Hattet ihr Ausschuss, der nicht auf dem Album gelandet ist?
„Ausschuss“ ist zu negativ. Wir hatten einfach zu viele gute Songs und haben uns dann auf unser Bauchgefühl verlassen. Es sind einige Songs noch in petto, mal sehen ob die nochmal ihren Weg auf eine Platte finden. Stefan ist einfach ein super Komponist. Ich habe ihm zum Beispiel gesagt, dass wir mal wieder einen schnellen Brecher brauchen. Kaum gesagt kam er kurze Zeit später mit MORBID DIVINITY um die Ecke.
Das Artwork hat Sascha gemacht, oder? Ist wieder sehr ansprechend und stimmungsvoll ausgefallen. Ein paar Worte dazu, bitte.
Sascha hat neben einem Gespür für gute Songs auch ein super Geschmack und Ideenreichtum, was Design angeht. Er macht da aber immer ein Riesengeheimnis draus, man bekommt nie ein Zwischenstadium zu sehen. Erst wenn alles steht, präsentiert er es uns. Zum Glück sind wir immer mit einverstanden, sonst wären tagelange Arbeit für die Katz, ha ha.
Leider hat sich das Frontmotiv nicht für ein tolles Shirt geeignet. Aber das ist Jammern auf sehr hohem Niveau.
Song By Song von Sänger Sam:
– Dismal –
Der Song ist bereits kurz nach den Aufnahmen zu „All Light Swallowed“ (7″ EP/ Split) im Herbst 2014 entstanden. Als Opener ist „Dismal“ perfekt für das neue Album, da der Song sämtliche musikalischen Facetten von Fragments Of Unbecoming widerspiegelt. „Dismal“ vereinigt majestätische Melodien mit Brutalität und schwarzer Eleganz.Thematisch handelt der Song vom Leiden an der Welt und ihren Unzulänglichkeiten, wie die nicht endend wollende absurde Gier des Menschen, die die Welt in den Abgrund führt.
– Towards The Leaden Sky –
Ein grandioser Song, der gitarrentechnisch an manchen Stellen an die guten alten Dissection erinnert. „Towards The Leaden Sky“ ist eine Anti-Utopie und thematisiert gesellschaftliche Isolation und Desillusionierung.
– Golgotha –
Ein finsterer midtempo-Nackenbrecher, bei dem man einfach ordentlich headbangen und mitgrooven muss. Der Song ist Old School und modern zugleich.
Thematisch steht hier „Golgotha“ parabolisch für die Menschheit als groteske Dornenkrone der Schöpfung mit all ihren Absurditäten.
– Shadowfathers –
Eine fette Blackened-Death-Keule voller Grim und mit hymnenartigem Chorus. In dem Song wird ein Menschheitstypus beschrieben, den man in allen Episoden der Menschheitsgeschichte wiederfindet; Demagogen, populistische Agitatoren, Autokraten, die es zu verstehen wissen, wie man wankelmütige Menschen instrumentalisieren kann, um letztendlich ihre eigenen egozentrischen Machtinteressen zu verfolgen. Wo man sich umschaut, immer wieder fallen Menschen auf solche stumpfen Rattenfänger herein und hinterfragen nicht diese perfide, stinkende Fassade.
– Perdition Portal –
Der Titeltrack des Albums, der einen recht eigenen finsteren Twist hat. Die düstere Atmosphäre, die diesem Song innewohnt, bohrt sich sofort beim ersten Hören in die Gehörwindungen. „Perdition Portal“ ist eine absolut fette Death-Metal-Granate und bietet neben pechschwarzen, melancholischen Passagen eine Menge Rhythmus, Groove und Geschwindigkeit. Inhaltlich wird eine „rite de passage“ beschrieben, ein ewiger Kreislauf des Werdens und Vergehens und umgekehrt. Ein sehr persönlicher Song.
– Treacherous Grounds –
Das Lied vereinigt technische Rohheit mit melodischer Finesse und hat einen Hammerschlusspart, der für Gänsehautatmosphäre sorgt. Thematisch handelt „Treacherous Grounds“ von Enttäuschung, und Entfremdung, Irren und Suchen mit einer klaren Aufforderung, trotzdem das eigene innere Feuer zu entfachen und sich neu zu begeistern. Unter der Asche lodert es.
– Abyssphere –
Der Song ist eine fiese Black-/Death-/Thrash-Metal-Nummer. Volle Fahrt voraus, immer weiter hinab in den Schlund. Menschen neigen dazu, Ängste blind zu projizieren und es stellt sich hier die Frage, zu welchem Verhalten Menschen in Anbetracht ihrer Existenzängste fähig sind. Die Menschheitsgeschichte hat gezeigt, dass Menschen und Kulturen auf völlig irrationale, groteske Weise immer wieder die gleichen Fehler begehen. Die Tragödien unserer Vorfahren wiederholen sich, als ob Vergangenheit auf fatalistische Weise nur zum Nachmachen da sei. Man sollte sich mehr den eigenen Ängsten stellen, statt davor zu fliehen. „Go ahead and face your fear!“
– All Light Swallowed –
Das ist der älteste Track auf dem Album, der bereits kurz nach dem Erscheinen von „The Art Of Coming Apart“ im Winter 2013 geschrieben wurde und auf der „Imperial Anthems No. 16″ im Jahre 2015 auf rotem Vinyl via Cyclone Empire veröffentlicht wurde. Der Song wurde eigens für das neue Album mit kleinen musikalischen Veränderungen und in einem neuen Soundgewand im Vergleich zu der Version auf der 7“ komplett re-recorded. Thematisch handelt „All Light Swallowed“ davon, wie der Geist der Aufklärung – das Licht – zu verschwinden droht, wenn man sich jetzt nicht besinnt. Willkommen auf dem Planet der Affen.
– Morbid Divinity –
Der kürzeste, schnellste und direkteste Song auf dem aktuellen Album, der den geneigten Hörern ordentlich mit 250 bpm die Ohren durchbläst. Messerscharfe Blastbeats werden hier mit hymnenhaften melodischen Interludes aufgelockert. Straightness und Dynamik waren uns hier wichtig. Morbid Divinity ist ein Antikriegs-Song, der thematisch eine Absage an autoritäres Heuchlertum erteilt, mit dem auf völlig absurde Weise unsinnige Kriege begründet werden.
– Calamity Choir –
Die Nummer ist der würdige Rausschmeißer auf dem neuen Album.
Der Song handelt allgemein vom Älterwerden und den existenziellen Fragen und Gefühle, denen man als alternder Mensch ausgesetzt ist. Der Song vereint epische Melodie mit melancholischem Groove und bildet den Abschluss des Albums. Das Lied birgt einige klassische Heavy-Metal-Elemente und Überraschungen, wie beispielsweise Chorgesänge, die hier zum ersten Mal auf einem Album von uns zum Tragen kommen. „Calamity Choir“ ist ein Song für den melancholischen Ausklang mit Ohrwurmcharakter.
Was habt ihr für die nähere Zukunft geplant? Zeichnet sich schon das nächste Album ab?
Wir haben jetzt den Fahrplan für das kommende Album festgelegt. Die Songs stehen größtenteils schon fest und sind auch zu 80% fertig. Zumindest instrumental. Unser Plan ist es, Mitte nächsten Jahres mit einem neuen Album um die Ecke zu kommen und ordentlich live zu spielen. Immerhin haben wir unser 20-jähriges Jubiläum 2020 und live einiges nachzuholen.
Welche Bands oder Alben hört ihr momentan und wen haltet ihr für unverzichtbare Klassiker?
Tja, da ich dieses Interview schreibe, muss der Rest der Band jetzt mit meinen Klassikern leben! Die unterscheiden sich nämlich ziemlich von denen von Stefan, Sascha, Ingo und Sam, da die meist mit den Alben bei Bands aufhörten, mit denen ich einstieg. Aber um ein paar zu nennen:
Dissection – Storm of the Light’s Bane (da sind wir uns ausnahmsweise einig)
Vader – Revelations
Dark Tranquillity – Damage Done
Cannibal Corpse – The wretched Spawn
Slipknot – Same
The Black Dahlia Murder – Nocturnal
Misery Index – Heirs to Thievery
Und dafür wird mich Sascha hassen: The Offspring – Ixnay on the Hombre
Im letzten Jahr habt ihr dubiosen Honig auf Facebook angeboten. Was hatte es damit auf sich?
Der Honig ist gar nicht dubios. Ich habe einige Jahre geimkert und dachte mir, dass es bisher noch nirgends „Metal-Honig“ gibt. Also habe ich einfach etwas Honig in kleine Gläser gefüllt und Sascha hat ein entsprechendes Etikett designed. Und siehe da: unser bester Merchartikel! Ist auch schon komplett ausverkauft. Es sollte eigentlich mehr oder weniger ein Gag sein, aber die Leute fanden es wirklich cool. War übrigens Sommertracht mit einem Hauch Waldhonig, sehr lecker!
Euer Sänger grölt auch bei Dead Eyed Sleeper. Steht bei denen etwas Neues an?
Bei DES hat Stephan von der Gitarre an den Bass gewechselt (spielt er ja auch bei AHAB) und Nyl hat die zweite Gitarre übernommen. Was da noch mehr kommt, weiß ich allerdings nicht.
Last words!
Vielen Dank für das Interesse an uns, gerade ein Jahr nach der VÖ ist das keine Selbstverständlichkeit!!
Fotos: Corinna Nikolaus – C punkt Fotografie
Foto-Edit: Sascha Ehrich