Cannibal Corpse Interview

Als im Dezember des Jahres 1988 Cannibal Corpse aus der Asche der beiden Bands Tirant Sin und Beyond Death gegründet wurden, ahnte wohl niemand, wie bedeutend dieser Name einmal sein würde, welchen Staub die fünf Jungens einmal aufwirbeln würden, sowohl mit ihrer Musik, als auch mit ihrem extremen Image. Heuer ist das bereits siebente Album der Amerikaner erschienen, und die Band präsentiert sich gereifter, und dennoch frischer als jemals zuvor. Grund genug, einmal etwas tiefer in die Geschichte des Erfolgsquintetts einzudringen.

Tirant Sin und Beyond Death waren eigentlich komplett beeinflussend für die frühen Cannibal Corpse. In der Band, in der ich gespielt habe, Tirant Sin, haben wir so um 1986/ 87 Sachen im Stile von  Slayer und Kreator und Crossover Kram wie DRI und CuC gespielt. Es war so eine Art thrashiger DRI Sound, allerdings wesentlich heavier.„, erzählt Paul Mazurkiewicz, Urmitglied und Drummer der Kannibalen.

Beyond Death klang mehr wie SOD, sehr crunshy, simpel und effektiv. Es war so eine Art Mix aus Sodom und SOD. Auch die Lyrics waren sehr an SOD orientiert. Sie waren in ihrer Art sehr spaßig. Als beide Bands zusammenkamen, ergab sich dieser Mix. Die Heavyness von Beyond Death, dieses brachiale und die Power, und wir gaben den Speed und den Wahnsinn, die Krankhaftigkeit Tirant Sins dazu. Das war der Beginn von Cannibal Corpse. Es war eine sehr drastische, spastische Form von Hardcore Deathmetal Thrash. So klang dann auch unser Demo, also ganz anders als dann „Eaten Back to Life“„, fährt er fort, in Nostalgie schwelgend und wohlwissend, daß hier Themen berührt werden, die für die meisten Anhänger der Band wohl im Dunkeln liegen dürften. „Der Grund, warum so wenig Leute das Demo kennen, ist, daß wir lediglich zweihundert Kopien gemacht haben. Es war definitiv kein Deathmetal auf dem Demo. Es war auch mehr ein „Kreator-Mille meets ich weiß es nicht“ Gesangsstil. Es war definitiv keine brutale Stimme. Und dann kamen diese Monstervocals und wurden zum Trend, und wir wollten auch so singen. Das war dann das erste Album. Die Songs klingen ganz anders darauf.

Diese Andersartigkeit, und die Distanz, welche sich mittlerweile zu dieser „Ur-Zeit“ entwickelt hat, dürfte auch der Grund sein, daß den Fans in Zeiten tonnenweiser Überschüttung mit Rereleases und Limited Edition – Bonustracks, die alten Songs des Demos bis heute vorenthalten wurden. „Wir haben eigentlich bisher nie daran gedacht, die alten Demosongs wiederzuveröffentlichen. Es war zwar ein gutes Demo, aber wir haben nicht das Gefühl, daß es einen Grund gäbe, dieses Material noch einmal zu verwenden“ Auch das alte Material der beiden Vorgängerbands dürfte mittlerweile schwer zu beschaffen sein. „Tirant Sin haben drei Demotapes gemacht, und von Beyond Death kenne ich nur eines. Aber es gibt, glaube ich, zwei. Sie haben, glaube ich, ein Livedemo und eine Studioaufnahme gemacht. Also es gab schon ein paar Demos. Aber diese Aufnahmen sind sehr rar. Ich selbst habe nicht einmal alle Aufnahmen die ich mit Tirant Sin gemacht habe. Ich besitze, glaube ich, eins. Ja, ich habe wohl das letzte Demo. Ich habe noch nichteinmal das Cannibal Corpse Demo.

Wir haben immer gedacht, unsere Musik wäre kein Major Label Material, und daß wir einfach in der Masse an Bands untergehen würden. Wir hätten wirklich nicht damit gerechnet, auf diese Weise gepusht zu werden, solch eine hohe Priorität auf so einem Label zu genießen.

Die Dinge sollten sich schnell entwickeln für Paul Mazurkiewicz (Drums), Alex Webster (Bass), Chris Barnes (Vocals), Bob Rusay (Gitarre) und Jack Owen (Gitarre). Denn schon bald, nach nichteinmal einem Jahr der Existenz Cannibal Corpses, klopften Metal Blade an die Tür, obwohl die Band sich noch mitten in der Selbstfindung befand. „Wir waren eine sehr junge Band. Wir mußten uns zunächst selbst finden. Wir sind wirklich ins kalte Wasser geworfen worden, als es darum ging ein Album zu machen. Klar, wir wollten es mehr als alles andere. Die meisten Bands spielen vier oder fünf Jahre, nehmen Demos auf und haben jede Menge Songs. Wenn sie einen Vertrag angeboten bekommen, sind sie bereits etabliert.“ wundert sich Paul. Und so packten die jungen Kannibalen ihre Chance beim Schopfe und ließen „Eaten Back to Life“ auf die Menschheit los, wohlwissend, daß es noch nicht der Weisheit letzter Schluß war, aber ein erster, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Perfektion. „Wir waren sehr jung, und gerade einmal sieben Monate zusammen und hatten plötzlich einen Vertrag, sollten ein Album aufnehmen, mußten Songs schreiben etc. Es war also wirklich ein Wachstums- und Lernprozeß. Wir mußten uns selbst finden und entwickeln, bis heute
Und auch heute noch hausen Cannibal Corpse unter dem Dach dieses Labels, eine höchst ungewöhnliche Tatsache, wenn man bedenkt, daß es viele Bands gerade einmal bis zur Erfüllung des ersten Vertrages bei ihrem Label aushalten. Aber im Laufe der Jahre entwickelte sich eine tiefe Freundschaft zwischen Label und Band, das der kreativen Arbeit keine Steine in den Weg legen sollte. „Wir sind wirklich dicke Freunde mittlerweile. Wir haben immer gedacht, unsere Musik wäre kein Major Label Material, und daß wir einfach in der Masse an Bands untergehen würden. Wir hätten wirklich nicht damit gerechnet, auf diese Weise gepusht zu werden, solch eine hohe Priorität auf so einem Label zu genießen. Und auf Metal Blade, einem Major Independent Label, sind wir plötzlich eine Top Priority Band. Wir haben auch musikalisch die Freiheiten, die wir uns wünschen. Da redet keiner rein. Aber um auf die Freundschaft zurückzukommen. Ja, sie kümmern sich wirklich um uns. Wir sind Freunde geworden. Warum sollten wir dann wechseln?
Den Status der Top Priority genießen sie wohl mittlerweile zurecht. Bereits ein Jahr später, also 1991, folgte bereits ein zweites Album, das den Titel „Butchered at Birth“ trug, und zumindest gesangstechnisch eine ganz andere Richtung einschlug. Er war brutaler geworden, wohl stark Suffocation – beeinflusst, und war ein großer Schritt vorwärts auf dem Weg der Band nach oben. Wies er doch die Trademarks auf, welche die Band lange Zeit begleiten sollten. Die Ereignisse überschlugen sich. Bereits im Jahr darauf, also 1992 sollten Cannibal Corpse einen Meilenstein brutalen Death Metals aufnehmen: „Tomb of the Mutilated“ war geboren, und zeigte die Band von einer wesentlich brutaleren, gereifteren, und auch komplexeren Seite. Das Album ist ein unangefochtener Klassiker.

Das sah wohl auch der allseits bekannte Filmemacher und Komiker Jim Carrey so, und ließ die Band in seinem Film „Ace Ventura“ auftreten, wo sie den Titeltrack des eben erwähnten Albums zum Besten gaben. „Jim Carrey kontaktierte uns. Er mag Death Metal und ist ein Cannibal Corpse Fan. Jim Carreys Leute riefen im Labeloffice an, und sagten „Hey, Jim Carrey will Euch in seinem nächsten Film haben“. Natürlich haben wir ihm zugesagt, es war ein großartiges Angebot für uns! Wir sind Filmfans und Comedy mögen wir auch. Außerdem hatte Jim Carrey damals eine große TV – Show in den Staaten, und ich mochte seine Comedy. Er ist wirklich lustig. Manche Leute haben gesagt, Cannibal Corpse und Comedy, das passt nicht zusammen, das ist nicht gut. Aber der Film war gut gemacht. Und er war eine große Hilfe für uns.“ Und Spaß gemacht hat es wohl auch „Wir sind sehr zufrieden und es war auf jeden Fall eine interessante und positive  Erfahrung für uns. Wir waren vier Tage dort, und wurden wirklich wie Filmstars behandelt. Es war sehr spaßig und natürlich auch interessant, einmal hinter die Kulissen zu schauen, und mitzubekommen, wie so ein Film eigentlich entsteht; so viele Szenen und Takes zu spielen und immer und immer wieder das gleiche nochmal zu machen. Und mittendrin ist Jim, der Regisseur und jeder lacht, wenn etwas mißlingt und all das. Es war sehr lustig.“ Man produzierte ergänzend zu diesem Achtungserfolg auch gleich noch eine MCD, welche den Titel „Hammer Smashed Face“ trug, und eben jenen Song, welcher auch auf „Tomb of the Mutilated“ vertreten ist, zwei neue Songs und auch zwei Coverversionen enthielt.

Zum einen wurde „The Exorcist“ von Possessed ins kannibalische Soundgewand übertragen, und zum anderen mußten auch Black Sabbath mit „Zero the Hero“ dran glauben, was wohl nicht allzu naheliegend für eine Band wie Cannibal Corpse sein dürfte. „Black Sabbath waren ein großer Einfluß auf uns. Ich denke, sie haben jeden in gewisser Weise beeinflußt. Ausserdem wollten wir einmal etwas anderes versuchen. Chris hatte damals die Idee. Wir hatten gerade „The Exorcist“ gemacht, und er wollte unbedingt noch Black Sabbath covern. Wir sind alle Fans des „Born Again“ Albums. Chris hat es zu der Zeit gehört, und er hat uns geradezu bedrängt doch „Zero the Hero“ zu covern. Und wir haben gesagt, „Ok laß es uns tun!““ Der Song ist eine der besten Coverversionen, die ich je gehört habe. Zum einen klingt er hundertprozentig nach CC. zum anderen wurden aber die Originalriffs und die Songstruktur weitestgehend beibehalten, so daß es durchaus einen Wiedererkennungswert gibt. „Ja, das finde ich auch sehr gut. Die Leute mögen ihn wirklich, und er ist sehr populär geworden. Wir haben ihn höchst selten live gespielt. Ständig wurden wir auf Konzerten gebeten, doch diesen Song zu spielen, ab und zu haben wir das auch getan, und es macht uns wirklich Spaß ihn zu spielen, aber irgendwann haben wir uns gesagt, daß wir so viele eigene Songs haben, und live doch in gewisser Weise die Band porträtieren wollen. Dieser Song ist immerhin fünf Minuten lang. Deshalb spielen wir ihn mittlerweile so gut wie gar nicht mehr, und lieber eigenes Material. Wenn ihn jemand hören will: er befindet sich ja auf der EP.

Von nun an schien es nur noch bergauf zu gehen. Es folgte 1994, also wieder nur ein Jahr später, „The Bleeding“. Zwischenzeitlich hatte jedoch Bob Rusay die Band verlassen und wurde durch den ehemaligen Malevolent Creation – Gitarristen Rob Barett ersetzt. Die Band entfaltete ein nie gekanntes Potential, zeigte sich noch komplexer und kranker, bot verschachtelte Songstrukturen auf, und wußte mit Killerriffs und absolut unmenschlichem, bestialisch – brutalen Gesang zu begeistern. Aber nicht nur musikalisch sollte sich einiges für Cannibal Corpse ändern. Wurden sie früher entweder von der etablierten Fachpresse gar nicht wahrgenommen, oder aufgrund des extremen Images ignoriert, sah sich sogar der deutsche Metal Hammer befleißigt, ein ganzseitiges Interview zu veröffentlichen. „The Bleeding“ stellt also in gewisser Weise einen Wendepunkt in der Karriere der Band dar, man konnte nun nach den Sternen greifen. Gedanken, denen auch Paul zustimmt: „In gewisser Weise schon. Es war auf jeden Fall ein großer Schritt nach vorne. Wir haben uns intensiver um das Songwriting gekümmert, und wirklich versucht die Band in allen Aspekten zu verbessern. Ich denke die ersten Alben haben wir gebraucht, um wirklich zu uns selbst zu finden und auf „The Bleeding“ waren wir spieltechnisch gereifter. Es lief auch insgesamt gesehen besser für uns. Ja, in gewisser Weise war es ein Wendepunkt.

Auch in der Folgezeit konnte sich der Fünfer nicht über mangelnde Medienpräsenz beklagen, freilich aus anderen Gründen. Es sollte nämlich einen weiteren Lineup – Wechsel geben. Diesesmal jedoch ließ er die Gemüter hochkochen, trennte sich die Band doch in Unfrieden und unter großem Getöse von Chris Barnes, der vielen Fans als Aushängeschild der Band galt. Und das auch noch während er sich auf Tour mit seinem Seitenprojekt “Six Feet Under“ befand, und die Aufnahmen zum neuen Streich, welcher ursprünglich „Created to Kill“ betitelt sein sollte, und später dann in „Vile“ umgetauft wurde, in vollem Gange waren. „Wir waren sehr unzufrieden mit seiner Gesangsleistung für „Vile“. Er hat sich seit  „Eaten Back to Life“ nicht großartig weiterentwickelt. Irgendwann kamen wir einfach an den Punkt, wo sich dieser Gesangsstil für uns erledigt hatte. Wir hatten eben gerade diese Killersongs geschrieben, und als er dann die Vocals über die Songs von  „Vile“ gesungen hat, waren wir einfach enttäuscht. Wir wollten nicht so dumpfe Vocals dafür haben.  Wir konnten einfach das Album nicht mit diesem Gesang veröffentlichen„, erklärt Paul.
Ersetzt wurde er durch George „Corpsegrinder“ Fisher, den ehemaligen Sänger von Monstrosity. „Wir kannten zu diesem Zeitpunkt eben jemanden, der für diese Vocals in Frage gekommen wäre und das waren wirklich die Vocals, die wir haben wollten, das war eben George. Wir holten George in die Band und wir hörten ganz klar die Unterschiede, wie sich alles zusammenfügte, es war genau das, was wir wollten. Gerade auf dem neuen Album ist seine Gesangsleistung großartig, die Lyrics übrigens auch. Das sind Vocals, die Chris Barnes definitiv zu diesem Zeitpunkt nicht machen könnte, oder würde. Wir wollten eben diese brutalen Vocals und ich denke Chris Barnes ist nicht mehr wirklich brutal.

Sie riefen mich an und erklärten mir ihre Situation mit Chris.„, erläutert George die Vorgänge. „Sie wollten mich haben. Ich sagte ihnen, sie sollten mir ein paar Tage Zeit lassen, darüber nachzudenken. Sie sagten, ich müsse mich schnell entscheiden, weil sie das Album fertig bekommen müssten, und ich sollte sie am nächsten Tag zurückrufen. Ich sollte mich also innerhalb eines Tages entscheiden. Zu der Zeit war ich etwas unzufrieden mit der Situation innerhalb Monstrositys, aus unterschiedlichen Gründen. Ich dachte mir, es wäre eine großartige Chance für mich, bei Cannibal Corpse einzusteigen. Ich finde die Band großartig. Ich war damals schon Fan der Band.

Die Fangemeinde der Band war gespalten. Der eine Teil wandte sich ab, der andere wartete voller Spannung auf das Album: „Ich denke „Vile“ ist für viele Leute ein „unheimliches“ Album, weil man es „Open Minded“ hören muß.„, erzählt Paul, „Vielen Leuten fiel es schwer den Rauswurf von Chris zu akzeptieren. Viele Leute haben wahrscheinlich auch etwas ganz anderes erwartet. Irgendwann haben sie dann gemerkt, daß auch dieses Album brutal ist, und daß Cannibal Corpse nichts von ihrer Brutalität eingebüßt haben. George ist auch ein wenig ins kalte Wasser geworfen worden, und wir mußten die Songs auch noch innerhalb weniger Tage an seine Vocals anpassen. Er hatte wenig mit uns proben können, bevor wir ins Studio gegangen sind etc. Es ist teilweise schon ein etwas merkwürdiges Album geworden. Aber er hat seine Aufgabe fantastisch gelöst! Auf „The Gallery…“ hatte er mehr Zeit an den Vocals zu arbeiten und er hat wirklich zu sich selbst gefunden, und klingt besser als je zuvor.

Zweiflern und Nörglern an der Umbesetzung erteilt Paul eine klare Absage: „Es ist zwar hart, es so zu sagen, aber wir sind der Meinung, wir sind mit George eine bessere Band. Man kann das nicht vergleichen. Es gibt Leute, die leben einfach nur in der Vergangenheit. Das sind die, die Cannibal Corpse nur mit Chris Barnes in der Band akzeptieren, daran kann man nichts ändern. Es ist so, daß wir uns mit George wie eine neue Band fühlen. Entweder man akzeptiert das, oder man hört eben nur den alten Kram. Wir jedenfalls bewegen uns nach vorne. Aber eigentlich haben wir derart nicht großartig zu spüren bekommen. Die Verkäufe laufen nach wie vor gut oder besser. Wir sind sehr zufrieden. Wir fühlen, daß wir frei sind in jeder Beziehung, und wir sind froh, daß wir diesen Schritt gemacht haben.

George erzählt: „Die Reaktionen waren wesentlich besser, als ich je erwartet hätte. Ich hatte schon mit negativen, oder enttäuschten Reaktionen gerechnet. Aber es war wirklich nicht schlecht. Das Publikum hat mir eine Chance gegeben. Ich meine, ich mache ebenfalls Deathmetalgesang. Ich weiß, daß Chris Barnes eine wirklich große Fangemeinde hat. Aber ich habe für „Vile“, bzw. Cannibal Corpse, das gleiche getan, wie ich es auch für Monstrosity getan hätte. Es ist beides Deathmetal, auch wenn Monstrosity nicht so groß sind. Ich würde weder sagen, daß ich besser als er wäre, noch würde ich behaupten, ich wäre schlechter. Vielleicht dachten einige Leute, wenn da ein neuer Typ in die Band kommt, verändert sich die Band zu stark und geht weg vom Deathmetal, oder so. Das ist doch Schwachsinn. Ich höre schon lange Deathmetal und ich beherrsche diesen Gesang auf jeden Fall, das erste Mal, daß ich so gesungen habe war 1988. Es gab halt unterschiedliche Reaktionen, und es gibt sicherlich immer noch Leute, die noch nichteinmal meinen Namen kennen. Es gab auch viele Leute, die es ablehnten „Vile“ zu kaufen, einfach nur weil es nicht mit Chris war. Aber das ist mittlerweile auch abgeebbt, und sie haben vielleicht sogar unsere letzten Alben gehört, und haben hoffentlich begriffen, daß Chris nun sein eigenes Ding macht, daß er jetzt Six Feet Under macht. Es ist vorbei! Ich kann nicht verstehen, wieso jemand Cannibal Corpse nicht mehr mögen sollte, weil Chris die Band verlassen hat. Ich meine Chris war nicht die Band, und er war auch nicht der Hauptsongwriter. Wenn man sich das einmal überlegt, ist es doch wirklich eine Schande, die Band zu boykottieren, nur weil der Sänger nicht mehr dabei ist. Ich kann soetwas nicht verstehen. Wenn es jetzt so gewesen wäre, daß sich die Band musikalisch radikal verändert hätte, als ich dazugestoßen bin; daß wir plötzlich Poprock oder soetwas gespielt hätten, dann würde ich es verstehen. Aber ich glaube, die meisten Leute haben es mittlerweile akzeptiert. Ich hoffe es jedenfalls.

Auch die heftig geführte Debatte in Deutschland hat George wohl registriert: „Chris hat in Deutschland eine riesige Fangemeinde. Ich kann verstehen, daß die Leute doch stark verunsichert waren, und sich gewundert haben. Speziell diejenigen, die nicht wußten wer ich bin. Aber ich würde nicht sagen, daß es allzu große Probleme in Deutschland gab. Ich habe einige Konzerte in Deutschland mit Monstrosity gemacht. Es hatten mich also schon einige Death Metal Fans dort  gesehen, und wußten ungefähr was sie erwarten würde. Trotzdem war es schwer in Deutschland, weil Chris eben so eine große Fanschar in in diesem Land hat. Es ist mittlerweile aber ganz gut in Deutschland, sicherlich gibt es noch Leute, die verärgert sind, aber die fallen mittlerweile nicht mehr groß ins Gewicht.

Nach dem Rauswurf von Chris veränderte die Band auch ihr Logo, was zweierlei Gründe hatte: „Chris hat nicht wirklich die Rechte, aber er hat es gemalt. Allein aufgrund des Faktes, daß er es gemalt hat, wollte er Geld. Wir sagten ihm „Fuck you! Du hast es nur gemalt, du hast dir den Namen Cannibal Corpse nicht ausgedacht. Wenn du Geld dafür sehen willst, kannst du es vergessen, dann malen wir eben ein neues.“ Und wir wollten auch ein neues. Wir hatten das Gefühl, es handele sich jetzt um eine neue Band, wir waren derart glücklich, George in der Band zu haben. Klar, wir sind mit dem alten Logo groß geworden usw., aber eigentlich sieht es auch ganz schön beschissen aus. Das neue ist wesentlich besser.“ Paßte sich das alte Logo optisch sehr gut dem Undergroundstatus der Band an, so wird das neue doch dem Status der Band viel mehr gerecht „Es machte einfach keinen Sinn, das alte Logo zu behalten, die Band war nun eine andere. Das jetzige Logo repräsentiert die neuen Cannibal Corpse“ Auch sieht es wesentlich moderner, professioneller aus. „Und genau das ist es auch, was wir jetzt sind: Wir sind eine moderne Form einer Death Metal Band, die modernen Death Metal spielt. Wir sind nicht mehr die Band, die wir damals waren. Es war also sinnvoll, ein neues Logo zu entwerfen.
Das Verhältnis zu Chris Barnes hat sich übrigens mittlerweile wieder normalisiert. Man traf ihn auf dem Wacken Open Air und konnte sicherlich so einiges bereden. „Es gibt keine Rivalität und es gibt derzeit auch keinen Streit. Jeder macht halt sein Ding, wir unseres und Chris seins. Wir haben ihn nach Jahren einmal wieder gesehen, und es war schon etwas Verlegenheit dabei, aber es war das Richtige, ihn damals aus der Band zu schmeissen.„, erzählt Paul  „Es war cool. Es war nicht so, daß da irgendein Krieg ausgefochten worden wäre, oder so.„, ergänzt George.

Vom Wacken Open Air als solches zeigt sich vor allem Paul sehr begeistert: „Es war ein wirklich großartiges Festival und wir hatten eine gute Zeit. Es war ein guter Mix aus den unterschiedlichsten Metalbands. Es war eines der größten Konzerte, die wir je gespielt haben. Es war eine spannende, aufregende Angelegenheit für uns dort zu spielen. Es ist Wahnsinn, so viele Fans dort draußen im Regen moshen zu sehen! Klar hätten wir uns auch schöneres Wetter gewünscht, um den Auftritt wirklich genießen zu können, aber es war ein gutes Gefühl, zu sehen, daß die Fans trotzdem in Massen dort draussen stehen um die Band zu sehen. Es hat viel Spaß gemacht, und es war ein großartiges Festival.“ Das war es in der Tat, und es war sicher auch ein großartiger Auftritt der Band. Allerdings kann so ein riesiges Festival einem, was die Liveevents angeht, wohl kaum das Gefühl vermitteln, das man in einem kleinen Club hat.

Eigentlich hasse ich Festivals. Ich spiele auch lieber in kleinen Clubs mit 200 Leuten, wo ich den Fans wirklich in die Augen blicken kann, das ist es was den Metal ausmacht, das ist die Art von Auftritten, wie sie sein sollten. Es ist natürlich großartig, wenn so viele Leute Deine Musik gut finden, wenn du so viele Fans hast. Leider ist man dadurch gezwungen, in größeren Lokalitäten aufzutreten. Vielleicht haben die Leute dort einen besseren Sound, und jeder hat die Gelegenheit, dich zu sehen, aber das ist eigentlich nicht der Grundgedanke des Deathmetal, auf so großen Veranstaltungen zu spielen. Ich würde viel lieber in kleineren Clubs spielen. Klar Festivals machen Spaß, man hängt ein wenig ab, redet mit Leuten und hat Spaß. Aber alles ist so durchgeplant und du hast wirklich nur exakt 45 Minuten und all das…. Ja, ich spiele viel lieber in kleinen Örtlichkeiten, das ist Deathmetal!“ erzählt Paul und dürfte damit den Nagel voll auf den Kopf getroffen haben.

Welches sind die besten, und welches die schlechtesten Orte, an denen ihr in eurer Karriere gespielt habt?, will ich von George wissen. „Wir haben in vielen großartigen Orten gespielt, und nur ein paar wirklich schlechten. Aber alle Orte, von denen ich sagen würde, sie waren wirklich schlecht, waren schlecht, weil der Club nicht gut war. Wir haben zum Beispiel in einem Club in der Schweiz gespielt, der ziemlich daneben war. Aber ich werde jetzt hier keine Namen nennen. Aber die Leute, die auf diesem Konzert waren, rulen! In Frankreich hatten wir auch ein derartiges Erlebnis. Es war ein absolut mieser Club, aber es war der helle Wahnsinn! Es war eines der besten Konzerte, das wir je gegeben haben! Wenn Du so etwas erlebst, wird es vollkommen nebensächlich, wie der Club ist, ob er vernünftige WCs und Waschgelegenheiten hat usw. Wenn Du anfängst zu spielen, zählt das alles nicht mehr, da kann der Club so schlecht sein wie er will. Wenn die Leute vollkommen ausrasten, das ist Death Metal! Wir haben in Amerika einmal eine Show gespielt, bei der 15 bis 20 Leute anwesend waren, aber es war großartig! Es war so ein gemischtes Konzert, und wir sollten als letzte spielen, und die ganze Zeit traten nur unglaublich furchtbare Bands auf, die schlechte Musik spielten, das war in einer wirklich kleinen Stadt, und diese 20 Leute waren da, als wir begannen zu spielen. Sie hatten den ganzen Abend gewartet, um uns zu sehen! So etwas ist großartig, wenn es solche Die Hard Fans gibt, die die ganze Nacht warten, nur um dich zu sehen!

Doch zurück zur Bandgeschichte: Nach „Vile“ folgte „The Gallery of Suicide“, auf welchem wieder ein Besetzungswechsel zu verzeichnen war, der sich jedoch nicht so spektakulär äußerte. Rob Barrett verließ die Band wieder, und ging zurück zu seiner früheren Band Solstice. Ihn ersetzte Pat o´Brien, der von der allseits bekannten Band Nevermore dazustieß. Dies sollte auch der vorerst letzte Besetzungswechsel sein. Bis heute sind von der Urbesetzung auf „Eaten Back To Life“ drei Leute noch dabei: Paul Mazurkiewicz, Alex Webster, Jack Owen. „Dies ist definitiv das beste Lineup. Es ist wieder das erste Folgealbum mit dem selben Lineup seit „Tomb of the Mutilated“ und „Butchered at Birth“„, äußert sich Paul zur Besetzung auf dem  neuesten Streich „Bloodthirst“. „Wir sind wirklich zufrieden mit dem derzeitigen Lineup. Die Band ist derzeit genauso, wie sie sein sollte. Wir sind  einfach fünf Jungs mit ähnlichen Vorstellungen. Wir verstehen uns gut, und haben viel Spaß miteinander. Es ist großartig miteinander zu spielen. Unsere Zusammenkünfte gestalten sich zwanglos.  Es natürlich immer so eine Sache, über die Zukunft zu spekulieren, gerade wenn ich auf meine Lebenserfahrungen zurückgreife, aber ich habe das Gefühl, das dies das finale Cannibal Corpse Lineup ist!

Auch sonst gibt sich Paul  sichtlich zufrieden, und erläutert die Unterschiede zu den vorangegangenen Alben: „Ich denke der wichtigste Unterschied ist definitiv die Produktion. Es ist die beste Produktion, die wir je hatten. Und natürlich das Songwriting. Es sind meiner Meinung nach die stärksten Songs, die wir je geschrieben haben. Wir sind im Laufe der Zeit musikalisch gereift, und haben uns über all die Jahre stark verbessert. Es ist ein Album, mit dem wir zum gegenwärtigen Zeitpunkt hundertprozentig zufrieden sind.
Auch andere Veränderungen gab es zu verzeichnen. Erstmalig in der Bandgeschichte nahm man nicht im Morrisound Studio auf, sondern begab sich unter die Fittiche von Colin Richardson. Zwar hatte man bereits bei „Gallery of Suicide“ nicht mehr mit Scott Burns selbst an den Reglern, sondern in Zusammenarbeit mit Jim Morris aufgenommen, aber dies war doch ein radikaler Schritt. „Wie Du vielleicht weißt, arbeitet Scott nicht mehr für Morrisound, er hat das Studio bereits vor einigen Jahren verlassen. Er ging anderen Tätigkeiten nach. Er produziert aber immer noch. Als es darum ging, „Gallery of Suicide“ aufzunehmen, wollten wir natürlich wieder mit Scott zusammenarbeiten, aber das ging aus verschiedenen Gründen nicht.
Wir kamen dann zu dem Schluß, daß es wohl besser wäre, einen anderen Weg zu beschreiten. Wir haben damals schon daran gedacht, mit Colin aufzunehmen, aber wir brauchten etwas mehr Zeit ihn zu kontakten etc. Eine Zusammenarbeit war zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich. Wir hatten also mehrere Möglichkeiten. Ich denke Jim war damals unsere beste Option. Er genoß unser vollstes Vertrauen und hat großartige Arbeit geleistet. „Gallery….“ war sicherlich die bestklingenste Cannibal Corpse Aufnahme zu dieser Zeit, wir können uns also wirklich nicht beschweren. Als wir jedoch fertig waren, wurden uns doch einige Mängel bewußt. Wir waren mit einigen Details nicht ganz zufrieden, vor allem was den Gitarrensound angeht. Als es dann darum ging, „Bloodthirst“ aufzunehmen, dachten wir, es wäre eine gute Idee, Colin auszuprobieren. Wir dachten uns, warum eigentlich nicht? Wir sind große Fans seiner Produktionen, sie haben einfach großartige Gitarrensounds. Die Zusammenarbeit war ein wirklicher Glücksgriff, ich denke es ist soundtechnisch das beste Album bisher

Da verwundert es auch nicht, daß Paul rückblickend definitiv die neueren Cannibal Corpse Alben bevorzugen würde „Sie klingen eher nach dem, was wir sein wollen als Band, als die frühen Werke. Wir sind als Band gewachsen und haben unsere Instrumente spielen gelernt. Wenn ich die neuen Alben höre, bin ich sehr zufrieden, und kann zu mir selbst sagen, „Ich habe gut gespielt und ich spiele so wie ich spielen wollte“ und ich kann sie mir anhören, ohne mich zu stark selbst zu kritisieren. Ich bin dann wirklich zufrieden. Ich würde sagen, daß das auf die letzten drei Alben zutrifft. Auf diesen Alben spielen wir wirklich das, was wir spielen wollten. Das heißt nicht, daß die Alben davor schlecht gewesen wären, es sind auch gute Alben, aber der Abstand ist zu groß, so daß ich mich dann frage „Warum habe ich dies so gespielt? Warum habe ich das gemacht? Das klingt ganz schön krank. Hey dieser Song ist gut“ Und so weiter. Es sind sehr präzise und vernichtende Alben. Aber das ist es, was sie irgendwie auch cool macht, weil das ist unser Stil, Deathmetal zu spielen: präzise und vernichtend. Aber ich liebe eher die neuen Alben.

Fühlt man sich eigentlich, wenn man sich ein derart festgelegtes Image verpaßt, wie Cannibal Corpse, das eine Einheit aus Bild, Text und Ton bildet, ab einem gewissen Punkt stilistisch limitiert? Wäre es also denkbar, daß Cannibal Corpse irgendwann einmal einen progressiven Ansatz haben könnten? „Nein, wir sind Deathmetal!“ erwidert George, „Wir fühlen uns überhaupt nicht limitiert. Wir sind einfach eine Death Metal Band. Wenn wir eine progressive Band sein wollten, würden wir uns auflösen und als neue Band mit anderem Namen beginnen. Und wir würden den Leuten, die unsere Alben gekauft haben, erklären, daß Cannibal Corpse diese Musik nicht mehr machen wollen, und nun etwas anderes machen werden. Aber das steht gar nicht zur Debatte, denn wir lieben den Death Metal! Sicherlich könnten wir ein progressives Album unter dem Namen Cannibal Corpse machen, aber die Leute würden uns hassen! Das wäre Verrat! Wir würden also den Namen ändern. Aber warum sollten wir soetwas tun? Wir sind, was wir sind, hundert prozentiger Death Fucking Metal!

Paul ergänzt seine Sicht des Death Metal: „Death Metal hat etwas mit Brutalität zu tun. Es ist brutale Musik. Brutale Musik wird mit Gitarren, Bass, Drums und Vocals gespielt.“ ergießt es sich über mich, als ich Bands stilistische Änderungen von Bands wie Tiamat oder Paradise Lost ins Spiel bringe, „Es ist eine Art extreme Form des Rock´n Roll, ich weiß nicht wo er endet, aber ich bin der Meinung, er kann nur auf diese Art gespielt werden. Sicherlich limitiert einen das auf gewisse Art und Weise und ich behaupte auch nicht, Cannibal Corpse wären sonderlich Innovativ oder originell. Aber wir versuchen über das Songwriting innerhalb dieses Genres einen wiedererkennbaren Stil zu schaffen.“ Paul haßt Keyboards und Frauengesang, und jegliche Versuche, Deathmetal mit fremden Stilen wie Gothic oder Doom zu kreuzen, „Ich habe nichts gegen Keyboards als Instrument, ich mag sie in einigen älteren Songs aus den Siebzigern oder so.
Deathmetal ist Death-Metal, da haben Keyboards nichts verloren“ George zeichnet ein anderes Bild: „Es kommt darauf an, wie man das einsetzt. Was Death Metal und Doom Metal angeht, da gibt es keine wirkliche Mixtur. Es gibt Death Metal Bands, die sehr, sehr langsam spielen, und ihr Tempo nur selten erhöhen, da gibt es dann schon gewisse Spielräume. Aber wenn es darum geht, schnelle, brutale Musik mit Keyboards zu vermischen, dann ist das meist kein Death Metal mehr, dann ist das wohl Black Metal. Aber da gibt es auch einige Bands, die ihre Sache wirklich gut machen, wenn man beispielsweise einmal an Emperor denkt. Die zeigen einem, wie man es machen kann. Ich bin nicht dafür, Death Metal mit anderen Stilen zu vermischen, aber es gibt bestimmte Spielarten, wo man definitiv auch Keyboards benutzen kann. Wenn man es richtig macht, kann es gut werden.

Rückblickend auf den Deathmetalsellout, oder Boom, zu Beginn der Neunziger angesprochen, und die damit einhergehende Stilwandlung eben solcher Bands wie Tiamat oder Paradise Lost konstatiert Paul: „Wir wollten Death Metal machen und das ist es, was wir bis heute tun. Andere Bands haben ihren Stil geändert, was auch immer. Wir haben uns nie um den Trend geschert, wir haben einfach getan was wir wollten, weil es das war, was wir wollten. Das ist der Grund, warum wir so lange durchgehalten haben als Band über sieben Alben. Darauf sollen die Leute zurückblicken können, wenn unsere Karriere zuende ist. Die Leute sollen sagen, „Hey, Cannibal Corpse, das war die brutalste Band unserer Zeit und sie haben, wieviele Alben auch immer, veröffentlicht, und sie sind immer brutaler geworden, und sind keine Kompromisse eingegangen

Zur Zeit dieses Booms war Cannibal Corpse noch eine relativ junge Band, die nicht sonderlich etabliert war. „Wir waren genau dazwischen. Wir waren definitiv zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir hatten eben Glück, daß wir in der Zeit jemanden hatten, der uns mitgepusht hat. Wir haben alle hart daran gearbeitet. Das ist heutzutage bei jeder anderen Band genauso, man muß zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein.“ Und die Entwicklungen in der Deathmetalszene über all die Jahre kommentiert Paul „Ich habe den Eindruck, daß es überall ziemlich cool ist. Der Metal feiert derzeit sein Comeback, speziell in den Staaten. Und es gibt viele junge Death Metal Bands, die die Szene am Leben halten, sie lebt. Ich meine, wir haben viele Fans, und es kommen immer wieder junge dazu. Natürlich verlieren wir auch ein paar alte. Aber das ist natürlich. Und überall gibt es neue Death Metal Bands. Ich weiß nicht, wohin der Death Metal gehen wird, aber im Moment scheint er immer größer zu werden.

George sieht das ganze noch differenzierter, wenn auch nicht anders: „Die größte Veränderung sind wohl bessere musikalische Fähigkeiten. Mittlerweile ist es oftmals so, daß Leute, wenn sie eine Band gründen, von Anfang an gute, brutale Musik machen. Es gibt nicht mehr so viele Möglichkeiten für eine Band, groß zu werden. Es ist schwerer geworden. Es ist so, daß jeder wirklich hart daran arbeitet sich zu verbessern. Wir sind ja auch von Album zu Album brutaler geworden. Die einzelnen Musiker beherrschen ihre Instrumente immer besser und üben wie besessen. Die Standards werden einfach nach oben geschraubt. Wenn man heute ein neues Album herausbringt, muß man noch brutaler, noch ausgefeilter, was auch immer sein. Man muß etwas neues bringen. Also nicht etwas wirklich neues, aber man muß frischer klingen. Hör Dir einfach mal das letzte Morbid Angel Album an, oder unseres, dann weißt Du, was ich meine. Klar, es gibt immer noch viele junge Bands, die vielleicht 2 oder 3 Monate zusammen sind und unbedingt etwas veröffentlichen wollen, und dann ein Demo rausbringen. Aber ich glaube, es gibt immer mehr Nachwuchsbands, die sich wirklich Zeit nehmen fürs Songwriting. Die viel Energie reinstecken und ihren Stil entwickeln, und dann ein Demo veröffentlichen, das es wirklich wert ist, in meiner Sammlung zu landen. Man muß heutzutage sein Instrument wirklich beherrschen, bevor man in einer Band spielt. Das ist es auch, was ich jedem raten würde: Nichts überstürzen, nicht zu früh ein Demo veröffentlichen. Wenn Du weißt, daß Dein Drumming noch nicht perfekt ist, oder daß Du noch nicht sonderlich gut Gitarre spielen kannst, warte lieber und übe mehr. Übung perfektioniert, dann werden auch die Songs besser.

Es scheint auch so, als sei Florida das Zentrum des US – Death Metal. Nach den Gründen gefragt erläutert George: „Ich weiß es nicht. Viele Leute sind von überall aus Amerika hier herunter gezogen. Die meisten sind hierher gekommen, um eine Band zu finden. Es ist schon ein Phänomen. Viele ziehen hier auch herunter, und sind bereits in anderen Bands aktiv. Angelcorpse sind zum Beipiel  herunter nach Florida gezogen. Wir sind hier, Deicide ist hier, Obituary, Death usw. Es gibt verdammt viele Bands hier. Für viele Leute, und speziell aus dem Norden, ist sicherlich auch das Wetter ein Grund, herzukommen. Sie finden ja auch gleich dutzende von Bands in der Umgebung vor, in die sie einsteigen können. Oder sie gründen welche. Aber man muß nicht nur auf Florida schauen, ich meine, schau mal nach Schweden. Die haben ebenfalls sehr viele gute Bands.
Ist es also eine Art „Hollywood Effekt“? „Ja, vielleicht ist es das. Viele denken wahrscheinlich, in Florida hätten sie mehr Erfolg usw., speziell was Death Metal angeht. Wie ich bereits gesagt habe, sind Angelcorpse z.B. hierher gekommen. Anfang der 90iger sind verdammt viele Leute  herunter gekommen, wahrscheinlich auch, weil jede Band im Morrisound aufnehmen wollte, und das auch getan hat. Und das ist wohl auch der Grund, warum jeder den Eindruck bekommt, alle würden in Florida leben. Nicht jede Band, die im Morrisound Studio aufgenommen hat, kommt aus Florida. Sie kommen von überall her, aus Europa, aus Kanada…. Viele Leute, die irgendwelche Interviews lesen, bekommen den Eindruck, daß jede Band in Florida war, die viele Scheiben verkauft.
Doch wir schweifen ab. Auch diesmal, wie bei „Gallery of Suicide“ schon der Fall, wird das Album in zwei Versionen veröffentlicht, die sich durch das Covermotiv unterscheiden. Es gibt eine entschärfte, zensierte Fassung und die ursprüngliche, was wohl auf die massiven Probleme mit der Zensur zurückzuführen ist, denen die Band in der Vergangenheit ausgesetzt war. So wurde es der Band beispielsweise untersagt, bestimmte Songs live zu spielen. Derlei Probleme traten vor allem in Deutschland auf, was allerdings kein wirklich harter Schlag für die Band war. „Klar gerade in Deutschland war es ärgerlich für uns, es ist immerhin der wichtigste Markt. Aber es ist nur ein-, oder zweimal passiert, daß wir wirklich nicht spielen durften. Was uns allerdings verboten wurde, war, Songs der ersten drei Alben zu spielen. Aber es gab weltweit nur sehr, sehr wenige Shows, wo wir wirklich vorsichtig waren, und darauf geachtet haben, wirklich keine Songs der betreffenden Scheiben zu spielen. Das war in Deutschland. Aber im Großen und Ganzen hat es uns nicht wirklich getroffen.

Besonders hervorgetan hat sich bei all den gegen die Band gerichteten Aktionen eine gewisse Frau Jenal. Wie sind eigentlich Pauls Gefühle gegenüber dieser Frau? „Ich verstehe nicht, wo ihr Problem liegt. Wir sind nun einmal eine Death Metal Band. Aber anscheinend weiß sie nichts besseres mit ihrer Zeit anzufangen, als gegen Cannibal Corpse vorzugehen. Es gibt viele Menschen auf der Welt. Und da gibt es dann halt auch diese eine Frau, die der Meinung ist, das was sie da tut, tun zu müssen. Doch das interessiert mich nicht. Ich kümmere mich um meine eigenen Dinge und tue, was ich für richtig halte.“ Es gibt also keine wirkliche Wut oder gar Haß. „Ich hasse niemanden! Man kann ihr auch keinen wirklichen Vorwurf machen. Ich kann Leute nicht verstehen, die irgendetwas lesen, hören oder sehen, und sich angegriffen oder beeinträchtigst fühlen, und dann dagegen vorgehen. Ich denke, dann sollen sie es halt nicht hören und nicht kaufen. Wir machen doch nichts Falsches. Wir tun ja auch niemandem etwas. Manche Leute fühlen sich eben durch Cannibal Corpse angegriffen. Ich versuche, nicht großartig daran zu denken und damit hat sich die Sache.

Allerdings ist die Idee mit der zensierten Fassung auch nicht die optimale Lösung. Sicherlich kommt es auf die Musik an, aber gerade eine Band mit einem solch extremen Image, wie Cannibal Corpse es sich zugelegt haben, sollte doch nun wirklich nicht vor der BPjS oder einer Frau Jenal kuschen. Beispiels-weise hatten Pungent Stench (RIP) ja auch Probleme, Sodom haben sich seinerzeit selbst zensiert, indem sie über das Booklet ein weiteres Inlay gelegt haben, und es ließen sich sicherlich genug andere Beispiele finden. „Sie hatten damit bisher noch keine Probleme. Sie wurden nicht verboten. Wenn ihnen das passiert, dann werden sie genau das gleiche tun. Unglücklicherweise werden gerade unsere Cover verboten und die Plattenlabel wissen das„, erwidert Paul „Klar brauchen wir nur ein Cover einzureichen, aber dann werden sie sagen, sie bräuchten ein anderes Cover! Oder sie releasen es mit einem schwarzen Cover. Das ist doch Schwachsinn. Jede Band, die die gleichen Probleme hätte wie wir, würde das gleiche tun. Mortician haben da kein Problem, sie machen halt ihr Cover und die Plattenfirma wird es genau so veröffentlichen, wie es ursprünglich gedacht war, aber wir bringen unser Album unter die Massen. Und im Plattenladen sieht es halt auch besser aus, wenn da ein vernünftiges Cover steht, als wenn es in schwarz verpackt ist.“

Großartige Zensurprobleme scheint man in Amerika nicht zu haben, wo die Gesellschaft viel zu beschäftigt ist, Marilyn Manson und The 2 Live Crew zu jagen. „Klar, wenn man es einmal vergleicht, was die genannten Bands weltweit verkaufen, und was wir absetzen, ist das nichts! Wir verkaufen vielleicht ein- bis zweihunderttausend Platten insgesamt pro Jahr weltweit, und die verkaufen Millionen pro Album! Wir stehen nicht so im Blickwinkel der Öffentlichkeit. Wir sind nicht auf MTV, wie Marilyn Manson. Wir sind einfach nicht so groß. Die Leute in den USA haben also gar keinen Grund, uns anzugreifen. Und dort, wo sie uns vielleicht angreifen würden, spielen wir sowieso nicht! Das große Problem ist höchstens der Süden. Aber in Missisipi oder Arkansas würden wir eh nie eine Show spielen. Dort würden wir auf jeden Fall Probleme bekommen. In Restamerika ist das, was wir tun, auch nicht das große Problem. Es interessiert einfach keinen.“ Man ist aber auch in Amerika vorsichtig, und bietet dort ebenfalls beide Versionen an, was George weiter ausführt. „Wenn die Alben versendet werden, werden die meisten Shops vorher gefragt, welche Version sie haben wollen. Da sind auch einige Läden darunter, wo ich wirklich überrascht war, daß sie die unzensierte Fassung genommen haben, und natürlich auch einige, die sich weigern die unzensierte Fassung zu verkaufen, weil sie ein Problem mit den Texten haben.

Man kann sich also auch als Teenager aussuchen, welche Version man denn gerne seiner Sammlung einverleiben würde? „Ja, theoretisch ist das kein Problem.„, klärt er mich weiter auf. „Allerdings wollte beispielsweise ein Shop einem meiner Cousins das Album nur in Begleitung seiner Mutter verkaufen, weil er eben noch nicht volljährig war. Na ja, er hat ja sowieso ein Freiexemplar bekommen. Soetwas kommt also auch vor, aber im Prinzip kann es sich jeder aussuchen.“

Wenn wir sowieso gerade dabei sind, uns mit den extremen Inhalten der Band auseinander-zusetzen, interessiert es schon, wie die einzelnen Songs, und damit auch die Texte eigentlich zustande kommen, was mir George auch gerne erläutert. „Paul nimmt seine Ideen aus Büchern. Er liest verdammt viele Bücher. Ich selbst lese nicht allzuviel. Ich frage mich manchmal, wo er den ganzen Kram herbekommt. Normalerweise haben wir schon den Songtitel bevor wir anfangen, die Musik zu schreiben. Wir sitzen dann gemeinsam herum und überlegen uns, was wir für einen neuen Songtitel nehmen könnten, und schreiben dann so ca. 20 Titel auf. Dann beginnen wir die Musik zu machen, und überlegen, welcher dieser Songtitel am besten dazu paßt. Wir überlegen, wie es am besten zusammenpaßt, wie die Musik am ehesten klingt, ob sie wohl etwas mit Abschlachten zu tun hat, was auch immer. Und dann werden die Lyrics geschrieben, die dann natürlich auch noch meinem Gesang angepaßt werden müssen.“ Tabuthemen gibt es in lyrischer Hinsicht nicht, wie mir George sogleich bestätigt. „Es basiert alles auf Horrorstories. Es ist wie in einem Horrorfilm. Wenn wir „Stripped. Raped and Strangled“ singen, dann ist das lediglich eine fiktive Geschichte. Ich gucke viele Horrorfilme, und da ist es ja auch nicht so, daß ich irgendwann sagen würde, „Ich gehe jetzt raus und töte ein paar Menschen.“ Ich glaube, das tut keiner. Manchmal nehmen die Leute unsere Texte wohl zu ernst. Damit meine ich jetzt nicht die Fans, die wissen, damit umzugehen. Wir haben immer, und immer wieder erklären müssen. daß es keine Message gibt, daß es sich um eine Art Horrorfilm handelt etc. Es ist krank!

Außerdem steht die Musik an erster Stelle. Wir schreiben nun einmal über Krankheit. Genausogut könnten wir auch über Satan, was auch immer schreiben. Kranke Musik braucht kranke Texte. Aber die Leute nehmen das dann einfach zu ernst, und versuchen, Parallelen zum realen Leben zu ziehen. Sie verstehen nicht, daß es sich um fiktive Geschichten handelt. Es würde mich wirklich einmal interessieren, wie viele Leute wirklich im Namen von Cannibal Corpse, oder irgend einer anderen Deathmetalband, Gewalttaten verübt haben!“ Ein paar, nennen wir es einmal Folgeprobleme, gab es in der Vergangenheit, als Teenager eine Mordtat verübten und behaupteten, sie hätten sie unter dem Einfluß der Bands Cannibal Corpse und Deicide verübt. „Ja, da gab es diesen Vorfall, wo Jugendliche eine Dame getötet haben, und beinahe noch jemand anderes. Und die Polizei befragte die Kids auch nach den Bands, die sie so hören. Das hatte nichts mit dem Fakt zu tun, daß sie jemanden getötet hatten. Sie haben nie gesagt, sie hätten es wegen Cannibal Corpse getan. Sie zeigten ihnen das Albumcover von „Gallery of Suicide“, und darauf gibt es ja auch den Song „I will kill you“. Aber ich muß nocheinmal betonen, sie haben nie gesagt, sie hätten es deswegen getan, nur wegen der Überschrift „I will kill you“ oder so etwas. Sie haben ihnen ebenso Marylin Manson und Rammstein gezeigt. Und dann war die Rede von den schlimmen Texten Rammsteins. Aber die singen doch in deutsch. Der größte Teil der Teenager in Amerika hat gar keine Ahnung, wovon die singen. Wie kann man da also behaupten, sie würden irgendwen beeinflussen? Die Reporter haben einfach Null Ahnung. Wir bekommen ständig irgendwelche Publicity ohne irgendeinen wirklichen Grund, sie zeigen unsere Albencover und stellen dann wüste Behauptungen auf.

Apropos Cover. Eine weitere Kontinuität in der Geschichte der Band sind zweifelsohne die Coverzeichnungen Vincent Lockes. Er zeigt sich seit Anbeginn der Schaffenszeit der Kannibalen für deren optisches Erscheinungsbild verantwortlich. Vielfach wurde gemunkelt, er wäre ein enger Freund von Chris Barnes, was es relativ unverständlich macht, wieso er keine Covers für Six Feet Under entwirft, sondern immer noch der Band die Treue hält.
Paul klärt mich auf. „Er ist nicht mehr ein Freund von Chris, als von uns. Er ist ein Freund der Band. Chris war derjenige, der mit ihm in Kontakt stand, wenn es darum ging, die Covers zu entwerfen. Er wäre ebenso kein spezieller Freund von mir, wenn ich die Band verlassen würde, nur weil ich derjenige bin, der mit ihm über die Covers redet. Ich denke Chris hat das Richtige getan. Er wollte sein eigenes Ding durchziehen mit Six Feet Under. Es ist eine andere Band, und er will nicht ständig mit Cannibal Corpse assoziiert werden, also brauchte er auch andere Covers. Vince ist eben ein „Cannibal thing“ Ich bin auch froh, daß nicht auch andere Bands seine Dienste in Anspruch genommen haben. Es macht die ganze Sache einzigartiger, daß er die Cover nur für uns macht

Einzigartig sind wohl nicht nur die Covers die Vincent für die Band entwirft, Geschmack hin oder her, einzigartig ist wohl auch die Band selbst…

 

[Interview aus Eternity #13]