My Dying Bride Interview

Zur Geschichte von My Dying Bride noch große Worte zu verlieren, käme sicherlich Blasphemie nahe, denn immerhin dürften dem Großteil unserer Leser anbetungswürdige Kult-Alben wie ‚As The Flower Withers‘, Turn Loose The Swans‘ oder auch ‚The Angel And The Dark River‘ bereits in Fleisch und Blut übergegangen sein. Nach kurzzeitigen Ausflügen in die Welt moderner Klänge (34.788%…Complete) sind die Herrschaften aus Bradford (England) nun mit einem wahrhaften Ohrenschmaus zurück. ‚The Light At The End Of The World‘ – so der Titel des neuen Machwerks, vereint das beste aus Death Metal, Doom und Gothic und läßt jegliche Anflüge moderner Klänge vermissen. Zeit genug also um einmal etwas ausführlicher bei der Band nachzuhaken. Ich führte ein aufschlußreiches Gespräch mit Sänger und Sprachrohr Aaron Stainthorpe, der sich entgegen aller Annahmen als sehr freundlicher und vor allem fröhlicher Gesprächspartner erwies.

Wie du dir sicher denken kannst, würde ich zunächst gerne über euer neues Album ‚The Light At The End Of The World‘ sprechen. Wie kommt es, daß Ihr schon ein knappes Jahr nach dem Release von ‚34.788%…Complete‘ wieder mit 70 Minuten hochklassigem Material aufwarten könnt?
„Eigentlich wollten wir nach der Veröffentlichung des letzten Albums auf Tournee gehen. Aber es war uns nicht möglich, da unser Gitarrist Calvin Probleme zuhause hatte. Statt untätig rumzusitzen, entschlossen wir uns neue Musik zu schreiben. Und während wir auf Calvin warteten, entstand ein Song nach dem anderen. Schließlich entschied sich Calvin nicht mehr weiter zu machen, da er mit seinem Leben nicht zurecht kam und wir hatten in dieser Zeit ein komplettes Album beisammen. Wir entschlossen uns die Songs alsbald aufzunehmen und hatten uns somit anstatt einer Tour auf eine andere Weise sinnvoll beschäftigt. Das ist der Grund, weshalb es dieses Mal so schnell ging.“

Calvin ist also mittlerweile nicht mehr in der Band?
„Doch, er hat nun unser Management übernommen und kümmert sich um die Gespräche mit der Plattenfirma und ähnliches. Es ist ein gutes Gefühl endlich jemanden für diese Sachen zu haben, dem wir vertrauen können, da wir nie zuvor einen Manager hatten.“

Was hat euch dazu bewegt mit „The Light At The End Of The World“ eine Album aufzunehmen, welches wieder radikal back to the roots geht?
„Ich denke, weil wir mit ‚34.788%…Complete‘ die Grenzen des Heavy Metals so weit ausgedehnt haben, wie wir konnten. Wenn wir in diesem Stil weiter gemacht hätten, hätten wir den Bezug zu unseren Wurzeln verloren und hätten dem Heavy Metal unseren Rücken zugewandt. Aber das wollten wir nicht, da wir nach wie vor eine Heavy Metal Band sind. Jeder hat erwartet, dass wir noch weiter vorwärts gehen würden. Also haben wir uns gesagt, laßt uns einen Schritt zurück gehen, das wird die Leute viel mehr überraschen. Folglich haben wir uns wieder unserem früheren Stil zugewandt. Nun erscheint das neue Album mit dem alten Schriftzug, es gibt einen dritten Teil von ‚Sear Me‘ und ich singe teilweise wieder mit meiner Death Metal Stimme. All diese Kleinigkeiten brachten schließlich das Feeling des früheren My Dying Bride Sounds zurück.“

Wie stehst du mittlerweile zum letzten Album ‚34.788%…Complete‘? Magst du es dennoch?
„Oh ja, weil es wirklich sehr experimentell war. Wir hatten einige ungewöhnliche Ideen, die wir unbedingt umsetzen wollten. Ich weiß, daß einige Leute die Scheibe nicht mochten. Aber das ist uns relativ egal, da wir immer die Musik spielen, die wir auch selber gerne hören. Es ist recht merkwürdig. Als das Album erschien, war das Feedback vieler Fans nicht gerade positiv. Sie dachten wohl wir wären durchgedreht. Aber nun, ein Jahr später, ist genau das Gegenteil der Fall und mittlerweile mögen die meisten Leute das Album. „34.788%…Complete“ war ein Spätstarter, zunächst hat sie fast niemand kauft, aber nun haben doch viele Leute gemerkt, daß es eine exzellente LP ist.“

Dem kann ich nur zustimmen. Auch ich war anfangs etwas verstört, habe dann aber recht schnell Zugang gefunden und werfe die Scheibe bis heute gerne ein. Am meisten hat es mir übrigens der Drum’n’Bass Rhythmus von ‚Heroin Chic‘ angetan.
„Oh Dankeschön. Das war auch der Song mit dem viele Fans von früher die meisten Probleme hatten. Aber wir haben angekündigt, daß wir mit diesem Album etwas mehr experimentieren würden und haben es durchgezogen.“

Was kann der geneigte Fan in Zukunft von euch erwarten? Werdet ihr euch auch weiterhin den traditionellen Sounds hingeben oder durchaus auch mal wieder etwas experimentieren?
„Darüber haben wir uns noch keine Gedanken gemacht, da jetzt noch nicht einmal dieses Album veröffentlicht ist. Wir genießen die Platte im Moment einfach sehr und werden sehen wonach uns zumute ist, wenn wir mit dem Songwriting beginnen. Es kann sein, daß wir wieder etwas mehr experimentieren werden, aber genauso kann es passieren, daß wir noch einen Schritt weiter zurück gehen und eine reine Death Metal Platte aufnehmen. Wir sind uns noch nicht sicher, es wird sich alles ergeben.“

Aber ihr seid für alles offen, nicht wahr?
„Oh yeah, jetzt nachdem wir ‚34.788%…Complete‘ gemacht haben, ist die Welt doch darauf vorbereitet, daß man von uns so ziemlich alles erwarten kann.“

Meinst du nicht, daß viele Fans dennoch wieder enttäuscht sei könnten wenn ihr euch nach dem traditionellen ‚The Light At The End Of The World‘ wieder experimentellen Klängen zuwenden würdet?
„I don’t care (lacht). Uns hat es nie gekümmert, was die Leute von uns erwarteten. Ich weiß, daß das nun hart klingt, aber wir haben immer die Musik gemacht, nach der uns zumute war. Wir haben nie etwas auf Kritiken gegeben. Wenn den Fans unsere Musik gefällt, ist das großartig. Falls nicht, ist uns das egal, solange es uns selbst dennoch gefällt! Das ist uns wichtig und ich habe es schon immer betont. Wenn wir beispielsweise ein Tekkno-Album machen wollen, tun wir es einfach, auch wenn dann viele Fans jammern würden, daß wir uns verraten hätten. Aber das kümmert uns nicht. Es ist uns einfach wichtiger, ehrlich zu uns selbst zu sein.“

Das ist meiner Meinung nach auch sehr wichtig, da sich eine Band sonst wohl stets nur wiederholen und auf der Stelle treten würde. Allen recht machen kann man es eh nie. Was mich aber jetzt interessieren würde, ist wie ein My Dying Bride Song entsteht?
„Das passiert ganz unterschiedlich. Manchmal habe ich zuerst den Text. Dann erkläre ich den anderen worum es in dem Text geht, ob es ein wütender oder bitterer Song oder auch ein Liebeslied ist und sie denken sich dazu diese typischen tiefen, langsamen Riffs aus. Der Song wird dann auf der Atmosphäre des Textes aufgebaut. Aber es funktioniert auch anders herum. Teilweise schreibe ich monatelang keine Texte, aber die anderen haben bereits zwei oder drei Songs fertig. Dann schreibe ich die Texte nach der Musik. Es ist eigentlich egal, wie herum es passiert. Es klappt so oder so.“

Werdet Ihr für ‚The Light At The End Of The World‘ auf Tour gehen?
„Auf jeden Fall, da wir schon für das letzte Album nicht touren konnten. Viele Fans hatten bereits Panik uns nie wieder live sehen zu können, da es Gerüchte gab, wir hätten uns aufgelöst. Dabei gab es nur einige Line-Up Wechsel. Wir werden zwar nicht mehr dieses Jahr auf Tour gehen, da im Moment einfach zu viele Bands unterwegs sind und wir nicht in diesen Tournee-Stau geraten wollen. Aber wir werden uns ranhalten und Anfang nächsten Jahres zu euch kommen.“

Weißt Du vielleicht schon etwas näheres, mit welchen Bands ihr uns dann beehren werdet?
„Es ist noch nichts sicher. Aber wir hoffen sehr, daß wir mit Bal-Sagoth und Opeth auf Tour kommen können. Das wäre sicherlich ein großartiges Billing.“

Oh ja, bleibt bitte unbedingt an der Sache mit Opeth dran. Das wäre wirklich die Hammer-Tour des Jahres! Noch eine Frage zur aktuellen Bandkonstellation. Ist es richtig, daß euer früherer Geiger Martin nun zurückgekehrt ist?
„Nein! (lacht) Das ist ein Fehler in der Bio, die von der Plattenfirma herausgegeben wurde. Es stimmt, daß Martin uns im Studio besucht hat. Aber er kam lediglich einmal mit Jonny von Bal-Sagoth zusammen vorbei. Es war Jonny, der die Keyboards eingespielt hat, nicht Martin! Ich weiß wirklich nicht, wie dieser Fehler passieren konnte. Er war lediglich als ein Freund im Studio um Hallo zu sagen. Vielleicht hilft er uns auf der Tour aus, aber er ist auf jeden Fall nicht wieder fest in der Band.“

Das wäre ja wohl auch zu viel des Guten gewesen und die Fans wären aus ihrer Nostalgie gar nicht mehr heraus gekommen. Wie kam es, daß ihr mittlerweile schon den dritten Teil von ‚Sear Me‘ auf Band verewigt habt?
„Als wir nach dem Feeling der frühen My Dying Bride gesucht haben, haben wir uns verstärkt mit den Elementen beschäftigt, die die Leute immer mit My Dying Bride in Verbindung gebracht haben. So zum Beispiel dem alten Logo oder den Death Metal Vocals. ‚Sear Me‘ war ebenso ein Teil der frühen My Dying Bride, da der Song auf unseren ersten beiden Alben vertreten waren. Ich wollte für das Album einfach ein Liebeslied schreiben und die Worte ‚Sear Me‘ wieder verwenden und dachte mir, daß dies ein exzellenter Titel für den Track wäre. Das Liebeslied sollte immer der letzte Song der Platte werden, weil das Album voll von schwarzer, depressiver Musik ist. Zwar ist auch ‚Sear Me III‘ recht düster, aber für mich trägt es dennoch etwas Hoffnung. Ich fand es angenehm, am Ende des Albums nach all der totalen Dunkelheit wieder ein wenig Licht zu haben.“

Du siehst also trotz der depressiven Ansichten, die du in deinen Texte verarbeitest, immer ein wenig Licht im Leben?
„Oh natürlich, das Leben ist voll von Licht. Ich bin eigentlich ein sehr glücklicher Mensch. Wenn es mir nicht so gut geht, schreibe ich eben Texte für die Band oder gestalte die Artworks. Da die Artworks und Texte meine dunkle Seite darstellen, sind sie eben immer sehr düster. All meine negative Energie fließt in My Dying Bride und mir geht es danach wieder besser. Ich bin also nicht die traurige, depressive Person für die mich viele Menschen halten!“

Sag mal, hast du eigentlich keine Angst, daß du dir mit den Death Metal Vocals deine Stimme ruinieren könntest?
„Nein nein. Mir geht es recht gut, haha. Wir haben die Death Metal Gesänge nun zwar schon seit vier oder fünf Jahren nicht mehr aufgenommen. Aber live habe ich die alten Sachen ja dennoch immer gesungen. Ich habe wohl einen Hals aus Stahl, da ich stets problemlos zwischen cleanen und härteren Gesängen umschalten kann. Ich hatte noch keine gesundheitlichen Beschwerden oder Schmerzen und darüber bin ich sehr froh.“

Ich würde nun gerne zum lyrischen Aspekt von ‚The Light At The End Of The World‘ kommen. Zunächst einmal, siehst du dich selbst als Dichter?
„Nicht wirklich. Die Dichtkunst kann so bizarr wie jede Form der Kunst sein. Manche Gedichte sind sehr offensichtlich und einfach, aber dennoch schön. Lyrik kann aber auch sehr tiefsinnig und komplex sein. Gedichte müssen sich nicht reimen oder einen Sinn ergeben, es ist ganz dem Dichter überlassen. Es ist wie ein Gemälde, manchen Leuten wird es überhaupt nicht zusagen und andere finden es wiederum genial. Es hängt also immer vom eigenen Glauben ab und was man als Betrachter in einem Gedicht oder Gemälde sieht. Was meine eigenen Texte anbelangt, so finde ich es schön, wenn sie den Leuten gefallen. Aber ich bin mir sicher, daß nicht viele Fans jeden meiner Texte verstehen. Ich verarbeite sehr persönliche Dinge und tue dies auf keine sehr offensichtliche Weise. Manchmal sind es auch einfach nur Märchen, die nichts mit meiner Persönlichkeit zu tun haben. Gedichte können wie jede andere Form der Kunst abstrakt sein, aber es hängt primär immer vom Leser ab.“

Dann laß es mich anders ausdrücken, schreibst du Texte oder Gedichte auch außerhalb von My Dying Bride?
„Nein, alles was ich schreibe, ist für My Dying Bride. Ich habe bisher noch nichts geschrieben, was nicht für My Dying Bride verwendet wurde. Aber ich würde gerne ein Buch schreiben. Es soll ebenfalls ‚The Light At The End Of The World‘ heißen und ich trage diesen Gedanken schon länger mit mir herum. Ich habe zwar schon angefangen daran zu schreiben, aber ich brauche wahrscheinlich noch Jahre, da ich zu viele andere Dinge zu tun habe.“

Was ist das für ein Buch?
„Es ist die selbe Geschichte, wie der gleichnamige Song auf dem Album. Es geht um einen Mann und eine Frau die sich sehr lieben. Doch die Götter sind grausam und schleppen die Frau hinfort. Daraufhin wird der Mann sehr traurig und empfindet den größten Zorn, den ein Mensch je durchlebte. Schließlich bekommt einer der Götter Mitleid und steigt zu dem Mann hinab. Er sieht ein, daß die Götter einen Fehler begangen haben und gibt dem Mann die Möglichkeit noch eine letzte Nacht mit der Frau zu verbringen. Doch er muß dafür einen hohen Preis zahlen und fortan für immer leben. Der Mann und die Frau verbringen daraufhin eine wunderschöne, romantische Nacht und der Mann erwacht schließlich auf einer von Göttern bewachten Insel. Er ist dort ganz allein und erkennt das Opfer an. Doch nach 15 Jahren voller Depression und Trauer, allein auf der kleinen Insel inmitten des göttlichen Sees, versucht er sich umzubringen. Diesen Moment soll übrigens auch das Cover von ‚The Light At The End Of The World‘ symbolisieren. In dem Moment, als er versucht von den Klippen zu springen und seine Arme ausbreitet, werden diese zu Flügeln. Der Mann erkennt, daß er schon längst ein Engel ist. Er kann sich jedoch nicht umbringen, da er in einer Art Vergessenheit weilt und sich weder im Himmel noch in der Hölle befindet. Er muß fortan für immer auf dieser Insel leiden. Eine sehr tragische Geschichte also.“

Wie lange benötigst du, um solch einen umfangreichen Text zu verfassen?
„Die Worte die ich auf der CD singe sind eigentlich nur ein kleiner Teil der Geschichte von ‚The Light At The End Of The World‘. Auf der fertigen Version wird im Booklet jedoch die komplette Geschichte zu dem Song abgedruckt sein. Im Moment ist es eine Art Gedicht für My Dying Bride, aber ich würde die Handlung gerne noch detaillierter aufschreiben, deswegen arbeite ich an dem Buch.“

Steht ‚The Light At The End Of The World‘ in irgend einem Zusammenhang zu den anderen Songs des Albums oder ist es lediglich der Name des Titelsongs, der wegen seines symbolträchtigen Charakters für die ganze Platte herhalten mußte?
„Nein der Titel bezieht sich wirklich nur auf die konkrete Geschichte, die sich hinter dem Song verbirgt. Einige Leute haben mich gefragt, ob er etwas mit der Jahrtausendwende zu tun hätte, aber das kann ich nur verneinen. Es ist einfach ein klassischer My Dying Bride Albumtitel, den wir wegen des schönen Klangs gewählt haben.“

Wie kann man sich es vorstellen, wenn du derartige Texte schreibst? Sitzt du nachts in einem kerzenbeschienenen Raum oder ist dir die Umgebung eher nebensächlich, wenn du eine Eingebung hast?
„Ich weiß das es sehr kitschig klingt, aber ich schreibe meine Texte wirklich am liebsten nachts bei einem Glas Rotwein und Kerzenlicht, das gibt einfach die beste Stimmung für derartige Texte. Nachts ist alles ruhig und niemand stört mich, es klingelt kein Telefon, niemand klopft an die Tür und es läuft nichts im Fernsehen. Ich brauche einfach das Gefühl des Alleinseins, um meine Gedanken nieder zu schreiben. Nachts ist dazu die beste Zeit.“

Planst Du es im Vorneherein, wenn du einen Text schreiben möchtest oder ergibt sich das aus einem spontanen Gefühl heraus?
„Manchmal mußt du einfach in der richtigen Stimmung sein und ich denke mir, jetzt muß ich einen Text schreiben und es klappt. Es kann aber auch sein, daß ich mich dazu überwinden muß, etwas nieder zu schreiben. Aber man merkt schnell, wenn es nicht klappt und hört dann schnell wieder auf. In manchen Nächten geht es dafür automatisch. Wenn ich beispielsweise ein Buch gelesen habe, können die Gedanken fünf Stunden lang nur so aus mir heraus fließen. Am nächsten Tag finde ich dann haufenweise Seiten und setze mir daraus wieder neue Texte zusammen. Man kann so etwas nicht planen, die Stimmung muß einfach passen.“

Gibt es Dichter oder Autoren, die dich nachhaltig beeindruckt haben?
„Im Laufe der Jahre sicher. Früher habe ich sehr viel Shakespeare gelesen und das hat sich auch auf die älteren Texte von My Dying Bride ausgewirkt. Sie waren ja sehr theatralisch und ich habe sehr viele alte Sprachen und Wendungen verwendet, die die Leute oftmals nicht verstanden haben.“

Kannst Du diese Sprachen fließend sprechen oder hast Du nur Wendungen verarbeitet?
„Nein fließend sprechen nicht, aber ich konnte sie zumindest in die Texte einbauen und habe verstanden, was ich gesungen habe. Ich muß ja nicht fließend Latein sprechen, um ein paar lateinische Sätze in einen Song zu nehmen.“

Sind in den Texten der neuen Scheibe autobiographische Ansätze versteckt?
„Vielleicht in ein oder zwei Texten. Aber ich erzähle den Menschen nicht, wo sie sind. Ich mag es persönliche Elemente in die Texte zu verpacken. Aber ich möchte nicht zu vielen Menschen mein Herz öffnen. Ich erzähle nicht, welche Teile mich darstellen und welche nur aus meiner Phantasie stammen. Die Leser sollen sich lieber ihre eigenen Gedanken machen und es selbst herausfinden.“

Was siehst du wenn du in den Spiegel schaust?
„Eine schöne Person, ha ha. Nein nicht wirklich. Ich bin ein glücklicher Mensch, so würde ich mich selbst beschreiben. Auch wenn unsere Musik sehr traurig ist, bin ich dennoch sehr zufrieden. Wenn ich wütend oder traurig bin, verarbeite ich diese Gefühle in Texten oder Musik. Danach geht es mir besser. Ich würde also durchaus einen glücklichen Menschen vor mir stehen sehen.“

Gehst du regelmäßig in die Kirche?
„Nein…“(lacht)

Okay das war ein Scherz. Aber mich hat der Titel ‚Christliar‘ in jedem Fall sehr fasziniert. Mir liegen die Texte leider noch nicht vor. Könntest Du einmal versuchen in Worte zu fassen, was du mit diesem Text ausdrücken möchtest?
„Das könnte ich, aber ich werde es nicht tun. Es ist einer dieser Songs, der wirklich zuerst durch seinen ungewöhnlichen Titel auffällt. Ich bin mir sicher, daß es viele Leute interessiert, was ich mit dem Song aussagen möchte. Aber ich gebe ihnen nur sehr wenig Informationen und behalte den Rest für mich, da mich interessiert, was die Leute sagen, wenn sie das ganze Album gehört und den Text gelesen haben. Ich bin gespannt, was die Leute aus dem Text herauslesen. Es ist wie mit einem abstrakten Gemälde, der Betrachter kann etwas ganz Unterschiedliches darin sehen, als der Maler ausdrücken wollte. Und so möchte ich es auch mit meiner Lyrik halten. ‚Christliar‘ ist ein sehr provozierender Titel, der mir sogar einige Probleme mit religiösen Menschen einbringen könnte. Aber ich warte erst einmal die ersten Reaktionen der Leute ab, bevor ich mehr über den Text verrate.“

Nun dann müssen wir uns eben noch etwas gedulden. Wie stehst du zu Religionen im allgemeinen?
„Religion hätte die Welt retten können, stattdessen hat sie sie zerstört. Es gibt zu viele unterschiedliche Religionen. Jeder haßt den anderen, nur weil er an einen anderen Gott glaubt. Es gibt keinen Gott, es gab ihn nie und es gibt auch keine Beweise dafür. Die Schriften in der Bibel sind nichts weiter als Geschichten. Wenn es mehr Beweise gäbe, wäre ich vielleicht auch ein Gläubiger. Aber so? Ich werde meinen Leben doch nicht nach einer 2000 Jahre alten Geschichte ausrichten. Warum sollte ich? Es macht mich sogar regelrecht wütend, wenn ich sehe, daß Leute ihre Nachbarn umbringen wollen, nur weil sie einer anderen Religion angehören. Religion hätte etwas Wunderbares werden können, hat sich jedoch vollkommen falsch entwickelt. Etwas was uns eigentlich erlösen sollte, wird unser Ende sein.“

Du sagtest, daß Religion etwas Wunderbares hätte sein können. Wie müßte eine Religion beschaffen sein, daß du dich mit ihr identifizieren könntest?
„Wenn alle an den selben Gott glauben würden, könnte ich es vielleicht auch. In diesem Fall würde die Welt in Frieden leben und es gäbe keine Kriege, wie in Bosnien, da diese alle auf religiösen Hintergründen entstanden sind, die sich schon seit Jahrhunderten durchziehen. Die Menschen können eben nicht vergessen. Christen gegen Muslime, Muslime gegen Juden und Juden gegen Araber. Aber warum??? Es ist doch alles nur Religion und jeder stirbt den gleichen Tod.“

Was glaubst du, passiert nach dem Tod?
„Nichts. Ich glaube nicht an Wiedergeburt. Es wäre zwar sehr schön, wenn es ein großes weißes Licht gäbe, daß mich zu einer anderen Seite geleiten würde. Aber ich glaube ehrlich gesagt nicht daran. Das sind doch alles nur Geschichten. Es ist schrecklich zu wissen, daß man stirbt, dann alles vorbei ist und man nicht mehr wiederkehrt. Aber alles andere ist für mich nicht schlüssig.“

Du hast jedoch schon öfter in deinen Texten und Titeln das Symbol des Engel gebraucht. Kannst Du dir vorstellen, daß es noch eine Kraft zwischen Leben und Tod gibt?
„Nein ich glaube auch nicht an Engel. Aber von den Engeln geht einfach eine gewisse Faszination aus, die mich nicht losläßt. Ich weiß nicht warum. Es ist schon lange her,  als ich noch zur Schule ging, hörte ich die Geschichte von einigen Raumfahrern, die über der Erde drei riesige Engel gesehen hatten. Die Engel waren zehntausende Meter groß und schauten auf die Erde hinab. Ich fand das einfach unglaublich. Seit diesem Tag hat mich die Faszination an Engeln stets begleitet. Ich habe mir immer wieder Gedanken gemacht, was diese Erscheinung darstellten. Ob es wirklich tote Menschen sind, die auf uns aufpassen oder Außerirdische. Ich weiß es nicht, aber ich finde diese Vorstellung einfach sehr interessant.“

Verwendest du die Engel in deinen Texten als ein bestimmtes Symbol oder ist es lediglich der Glaube anderer Menschen, den du verarbeitest?
„Ich stehle den Glauben anderer Leute, da es nicht meiner ist. Ich habe selber keinen speziellen Glauben, also leihe ich mir die Glaubensinhalte anderer Menschen aus, um meine eigenen Fragen zu beantworten.“

Laß uns noch einmal auf das Musikalische zurück kommen. Nachdem ihr auf dem letzten Album ein recht breites musikalisches Spektrum verarbeitet habt und nun wieder eher dem traditionellen Doom/Death Metal huldigt, würde mich dein privater Musikgeschmack einmal interessieren.
„Ich mag sehr viele verschiedene Musikrichtungen. Ich mochte schon immer klassische Musik, aber auch Nick Cave & The Bad Seeds, Dead Can Dance und Depeche Mode. Natürlich höre ich mir auch immer noch gerne die alten Death/Black Metal Klamotten wie Bathory, Sodom oder Slayer an. Es reicht bei mir vom einen Extrem ins andere, es wechselt fortwährend von recht ruhigen Sachen bis hin zu wirklich heftigen Metalbands.“

Was hältst du denn von all den übel drein schauenden Black Metal Bands, die mit ihrer Maskerade und den Schwertern eigentlich eher die Rehe im Wald erschrecken, als daß sie wirklich noch ein normaler Musikliebhaber ernst nimmt?
„Kein Kommentar! (lacht) Es ist doch immer so, wenn man eine gut laufende Szene hat, daß es eine ganze Reihe schlechter Nachahmer gibt. Aber es gibt sicherlich auch in dieser Richtung einige gute Bands.“

Probt ihr eigentlich regelmäßig mit My Dying Bride?
„Oh ja. Wir sind zwar ein bißchen faul, aber im Normalfall proben wir zweimal die Woche zusammen.“

Das ist ja schon fast ungewöhnlich, da sich viele ‚große‘ Bands doch nur noch für Studiotermine und gemeinsame Tourneen treffen. Ihr seht euch also als eine richtige Band?
„Ja sicher.“

Gut dann laß uns langsam zum Abschluß kommen. Wie kommt es das ein My Dying Bride Song im Normalfall die gewöhnliche 4 Minuten Marke bei weitem überschreitet?
„Wenn wir einen Song schreiben, schließen wir ihn erst ab, wenn jeder in der Band glücklich damit ist. Es ist egal ob der Track schlußendlich 15 oder 5 Minuten dauert. Wenn jemand von uns der Meinung ist, er könnte einem Song noch etwas hinzufügen, was ihn besser macht, dann tun wir es. Es gibt bei uns keine Grenzen, wie lang ein Song sein darf. Wenn wir einen sechs Minuten langen Song haben und uns die Ideen noch nicht ausgehen, machen wir eben weiter. Wenn der Song schlußendlich 25 Minuten geht, ist das okay. Solange wir mit dem Endresultat zufrieden sind.“

Und das können sie ja wohl mit jedem ihrer bisherigen sechs Alben sein. Da bildet auch das neuste Machwerk ‚The Light At The End Of The World‘ keine Ausnahme. Freuen wir uns also auf die nächsten sechs Scheiben der sympathischen Briten und lassen uns überraschen in welche Richtung sie beim nächsten Mal tendieren werden.

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