Guerrilla Interview

Die Kölner Guerrilla haben nicht nur ein mächtig starkes Album („Kickstart revolution“) vorgelegt sondern auch mächtig einen an der Waffel. Glaubt Ihr nicht? Na dann mal viel Spaß beim Lesen des folgenden Interviews und der Suche nach einer einzigen sinnvollen Antwort… Achja, die Eingangsfrage habe ich mal bewusst mit drin gelassen, um zu dokumentieren wie lahmarschig der gemeine Rockstar von heute eigentlich ist. In der Zwischenzeit sind nicht nur Ölplattformen geplatzt, die Bayern Meister geworden, nein auch die Migrationshintergrunds-Fraktion bei Guerrilla hat frisch Zuwachs bekommen.

Jungs, Karneval ist seit zwei Wochen vorbei. Schon wieder fit oder kämpft Ihr noch mit den Nachwirkungen?
Alex: Da fragst Du jetzt genau den richtigen Mann. ;) Ich habe mit Karneval genauso viel zu tun, wie der Calmund mit ner fettarmen Ernährung. Karneval ist ja jetzt schon *hust* ein paar Tage her aber ich bin sicher, dass ich mich zu Hause eingebunkert hatte, mit genug Nahrung, um nicht vor die Tür zu müssen. Leider wohne ich in der Kölner Südstadt, einem der karnevalistischen Epizentren. Das ist immer eine sehr schlimme Woche für mich, daher betrinke ich mich ganz doll mit Wodka-Lemon, stecke mir Ohrstöpsel rein (in die Ohren) und gehe früh ins Bett.
Martin: Obwohl sich der Alex nicht für die Pflege der kölschen Traditionen begeistern ließ, hat der Rest von uns stolz die stählerne Flagge des schweren Metalls in den Karnevalshimmel gehoben! Mehr noch: Auf dem Rosenmontagszug waren wir dieses Jahr das erste Mal mit einem eigenen Wagen vertreten! Timur hat aus alten Sowjetbeständen einen großen Sack abgelaufener Herz/Kreislauf-Medikamente aufgetrieben, die den Nimm2-Bonbons in Form und Farbe sehr ähnlich sind. Da haben wir uns nicht lumpen lassen, und mit großen Händen ausgeteilt! Das war der Renner der Saison! Die Meisten hat das Zeug direkt aus den Latschen gehauen. Ein unglaubliches Gezappel gab es da am Straßenrand, welches sich aus der Wagenperspektive ganz vortrefflich beobachten ließ. Im nächsten Jahr wollen wir daran anknüpfen und experimentieren bereits in unserem Proberaum mit präparierten Warenproben namhafter Hersteller. Die in Aspartam getränkten Damenbinden machen schon jetzt einen viel versprechenden Eindruck… Man darf gespannt sein!

Als Kölner hat man aktuell glaube ich nicht viel zu lachen: eingestürztes Stadtarchiv, kaputte U-Bahn-Tunnel, Poldi hat die Seuche. Fehlt nur noch, dass der Dom demnächst die Grätsche macht oder der Rhein über die Ufer tritt. Gibt es auch etwas Positives aus Eurer Stadt zu berichten?
Martin: Aus Köln leider nicht so viel, aber international gesehen tut sich zur Zeit so einiges. Nicht ohne Stolz können wir verkünden, inzwischen einen Endorsement-Deal mit BP unterzeichnet zu haben. BP engagiert sich aus aktuellem Anlass verstärkt im Musikalien-Bereich, und hat ein Produkt auf den Markt gebracht, welches abgegriffene Gitarrensaiten wieder schön geschmeidig macht. Das Mittel besteht aus einer simplen Rezeptur aus Meersalz und Schweröl.
Ömer: Ja, der Rhein tritt gerne mal über die Ufer, allerdings hat er das schon einige Zeit unterlassen. Unser Proberaum liegt recht rheinnah und ich denke wir können uns schon damit brüsten mit der Druckwelle unserer brachialen Proberaumlautstärke die Rheinfluten immer wieder zurückzudrücken. Es könnte auch an unseren verlebten Visagen liegen, aber schieben wir es lieber auf die Musik. Aus Köln gibt es aber auch durchaus Positives zu berichten. Wir kommen aus Köln, wenn das mal nicht positiv ist. Und es gibt auch viele andere Bands oder Menschen mit selbsternannten Wurstallergien, aber um die geht es hier ja nicht. Super fand ich in letzter Zeit z. B. dass man mir vor meinem Haus in der Innenstadt mitten an der Hauptstraße das Auto geknackt hat, um daraufhin das Handschuhfach aufzubrechen und das darin liegende Navi samt Zubehör mitzunehmen. Aber dem Auto geht es soweit gut, der Doktor untersucht es gerade. Wäre auch schade um das Auto, denn immerhin bin ich nur deshalb in der Band. Es ist geräumig und verbraucht wenig, weil es ein Diesel ist. Kostendämpfung wird in Krisenzeiten bei GUERRILLA großgeschrieben.

Die Fluktuationsrate, die ihr in den letzten Jahren hattet, würde jedem Personalleiter den Schweiß auf die Stirn treiben. Habt Ihr eine Erklärung, was bei Guerrilla auf der Besetzungscouch in der Vergangenheit schief gelaufen ist…
Martin: Weißt Du, in unserer heutigen Gesellschaft, wo ja jeder nur ein Zahnrad an der Maschine ist, da kannst Du wählen, wen Du willst, die Leute machen eh was sie wollen. Im Ernst: Wir haben ein recht aufwendiges Bewerbungsverfahren. Potentielle Kandidaten müssen, nachdem sie bei unseren Müttern vorgesprochen haben, sich in den unterschiedlichsten Disziplinen (Backen, Duschen, Graben, Räuchern, Strand) unter Beweis stellen. Das kann gut und gerne mehrere Monate dauern. In der Zwischenzeit genießen Sie dann einen Praktikanten- bzw. Referendar-Status, der erst nach Ablauf dieser Probezeit in eine vollwertige Mitgliedschaft in unserem Swingerclub umgewandelt wird. Es ist halt schwer, Leute mit dem gewissen Etwas zu finden. Unser alter Gitarrist hatte z.B. drei Nieren, der alte Sänger hatte die Mandeln raus. Das sorgte unterbewusst für ein Ungleichgewicht, und so was kann auf Dauer einfach nicht gut gehen.

Was unterscheidet Guerrilla anno 2010 von den Guerrilla von vor zehn Jahren? (abgesehen von einer anderen Besetzung)
Alex: Wir sind älter, reifer und hübscher geworden. Ich persönlich finde, dass wir uns musikalisch weiterentwickelt haben, das war es dann auch schon. Unsere Sozialkompetenz z.B. musste über die Jahre hinweg stark leiden. Wir wurden immer wieder auf unser untragbares Verhalten in der Öffentlichkeit hingewiesen. Manche Drogerien und Ökomärkte verwähren uns mittlerweile ganz den Eintritt. Frauen sind für uns auch kein Thema mehr, da wir alle in festen Händen sind. Weibliche Intensivfans und Nymphomaninnen, mit rein platonischen Absichten, sind dennoch herzlich willkommen.
Martin: Stelle Dir die Band wie ein Molkerei-Produkt vor. Es gibt Phasen des Anfütterns, des Reifens, des Ziehens, und des Melkens. Letztendlich ist es wie bei einem Käserad: Wird es eingelagert, nisten sich oft Mäuse und Ungeziefer ein aber am Ende des Tages zählt der Name, der auf dem Etikett steht.

Nun ist mit „Kickstart Revolution“ dennoch ein aktuelles und vor allem starkes Album erhältlich. Was verbirgt sich für Euch hinter der Begrifflichkeit bzw. was wollt ihr damit ausdrücken?
Timur: Der Titel ist eine Anleihe aus dem hinduistischen Kali-Kult. Es steckt sicherlich auch eine gesunde Portion Maoismus drin, gepaart mit einer durch und durch neoliberalen Einstellung zum globalen Finanzmarkt. Ich würde sagen, von allen verfügbaren Ideologien der Welt haben wir das Schlechteste genommen und zu einem riesigen Stück stählernen Kots verarbeitet. Die Revolution startet bei uns, und das mit einem großen Knall. Vor allem einem Knall in unseren Hodensäcken. Die daraus erwachsene kollegiale Impotenz wird schließlich zu einer Verringerung der Weltbevölkerung führen, den Markt für Metallmusik erheblich konsolidieren und uns an die Spitze der Popmusik führen. Wir nehmen den Thrash und streichen das „H“ aus dem verdammten, veralteten Wort. Wir verstecken uns hinter einer Oldschool-Fassade, um den Metal von innen heraus kaputt zu treten. Tja, ich hoffe, damit ein wenig für Klärung gesorgt zu haben. Aber eigentlich bleibt jedem die Freiheit, den Titel und die Texte selbst zu interpretieren. Es ist wie ein bunter Strauß Hyazinten, der in einen Kessel dampfenden Stahls gesteckt wird. Die Revolution frisst ihre Kinder, frisst uns selbst und letztlich Euch alle irgendwann auf. Aber bis dahin hoffen wir, dass so viele Leute wie möglich ihrem Herdentrieb folgen und sich der Revolution anschließen, das Album herunterladen und fleißig Merch kaufen.

Danke Timur, vielleicht kannst Du an der Stelle noch ein paar Worte aus Deiner Sicht zu den folgenden – meiner Meinung nach – prägnanten Tracks der CD verlieren: „Plagueraiser“ (Bonustrack mit Gastvocals), „Maniac Melodies“ (Intro), „Shatter the Swastika“ (Aussage!) und nicht zu vergessen der Opener „Into the Mire“.
Timur: „Plagueraiser“ ist eine Mischung zwischen den Scorpions und Vader. Ernsthaft. Wenn Du Dir den Song genau anhörst, dann merkt man zum einen die rockige Stampfatmosphäre, zum anderen unseren gewollten, aber nicht gekonnten Versuch, gängige Death-Metal-Klischees zu bedienen. Und dabei kommt der Horn von (Jack) Slater ins Spiel: Er versteht es perfekt, seine kreative Impotenz zu kaschieren und damit den Charakter des Songs zu treffen. Bei „Maniac Melodies“ wollten wir einfach eine richtig miese Pseudo-Flamenco-Passage bringen, um dann vom schlecht eingespielten Song abzulenken. Auch das ist uns, so glaube ich, ganz gut gelungen. Zu „Shatter the Swastika“ gibt es wenig zu sagen. Der Titel sagt, diesmal ohne Flachs, alles aus. Da wir mittlerweile eine Band mit 50 Prozent Migrationshintergrund sind. Da war uns einfach die Abkehr vom Rechtsrock-Image der alten Tage wichtig. Wir wollen ja schließlich auch in den harten Straßen des Kölner Ghettos überleben.

Viele Underground-Bands sehen zwar die Vorteile von Internet und Co. um Ihre Releases bekannt zu machen, wenn es aber zur Thematik (illegale) Downloads kommt, ist meist von entgangenen CD-Verkäufen die Rede. Ihr stellt offensiv fast das komplette Album zum Herunterladen zur Verfügung. Was ist Eure Strategie dahinter bzw. wie seht Ihr diese gesamte Thematik?
Ömer: Wenn man jung ist hat man noch Träume. Man macht Musik, um den Mädels zu imponieren oder um vor anderen Musikern anzugeben. Ende der 90er dachte man, dass das Veröffentlichen und Verkaufen von selbstproduzierten CDs das i-Tüpfelchen wäre, das Salz in der Suppe des Musikerdaseins. Nach etlichen Konzerten in Hinterhofgaragen und einigen zerstörten Musikerexistenzen inkl. derer Träume hoffen wir, durch das Verschenken der Musik den Mädels imponieren zu können. Zumindest anderen Musikern muss man nach all den Jahren nichts mehr beweisen. Es geht bei Veröffentlichungen doch immer um die Verbreitung des aufgenommenen Materials. Da Metaller ihr ganzes Geld für Alkohol und Nutten ausgeben müssen, bleibt nichts übrig, um gute Musik zu kaufen. Diesen Trend haben wir erkannt und steuern mit dem kostenlosen Download des Albums entgegen. Wir möchten nicht dafür verantwortlich sein, dass sich ein Metaller seine täglich benötigten Güter nicht mehr leisten kann nur weil er uns unterstützen wollte.

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