Enid Interview

Nach einer siebenjährigen Pause sind ENID wieder da und scheinen vor Tatendrang zu sprühen. Doch wie sich zeigt, ist Bandkopf Martin nicht untätig gewesen und hat in den letzten Jahren genug Ideen zusammen getragen, so dass die Produktion für ein neues Album bis Ende des Jahres abgeschlossen sein sollte. Enid haben mit ihren ersten vier Alben durch stimmungsvolle, abwechslungsreiche und sowohl lyrisch wie auch musikalisch anspruchsvolle Songs überzeugen können. Grund genug nach dem neusten Stand der Dinge zu fragen.

Schön zu hören, dass ihr wieder da seid! Wann und warum ist die Entscheidung gefallen, Enid wieder zu beleben? Und was hast du/habt ihr in den vergangenen sieben Jahren gemacht?

Martin: Ich bin auch froh, dass wir wieder da sind! Im Prinzip hat ENID in meinem Kopf nie wirklich aufgehört zu existieren, es hat nur diese Zeit gebraucht, um endlich genau die Musik zu machen, die mir immer vorschwebte. Damals fehlten die Mittel, um alles so klingen zu lassen, wie man es sich ausgemalt hatte. Musikalisch wie technisch habe ich in den letzten Jahren Fortschritte gemacht, die es uns jetzt ermöglichen, ENID in einem völlig neuen Gewand erklingen zu lassen. Insofern habe ich die letzten Jahre keineswegs auf der faulen Haut gelegen, es wurde lediglich nichts übers Knie gebrochen. Immer wieder sammelte ich Ideen, kleine Melodiefragmente, manchmal auch ganze Songentwürfe, die dann nach einiger Zeit wieder auf den Prüfstand gestellt wurden. So kann ich behaupten, dass wirklich nur die Ideen übrig geblieben sind, die wirklich Aussagekraft haben.

 

Wie sieht das neue Enid Line-Up aus? Sind alle feste Mitglieder oder sind auch Session Mitglieder dabei? Seid ihr noch in anderen Bands oder Projekten involviert?

Martin: Ich für meinen Teil habe nebenher keine anderen Bands, wenngleich ich mein Leben trotzdem ausschließlich der Musik widme. Das Line-Up hat sich noch immer nicht komplett gefestigt. Nachdem wir dachten, mit einem neuen Schlagzeuger und einem neuen Gitarristen, die auch die Parts auf dem neuen Album gespielt haben, nun das Line-Up komplett zu haben, sind nun lediglich Florian und ich fest dabei, dazu kommt noch Vera Herzhoff am E-Cello, derzeit sind wir noch auf der Suche nach einem geeigneten zweiten Gitarristen, ein sehr versierter Schlagzeuger ist in Sicht.

 

Seit wann feilt ihr an den neuen Songs? Den rough mix von „Legends from the storm“ kann man ja bereits auf eurer MySpace Seite hören. Möchtet ihr ein paar Worte dazu sagen?

Martin: Wie schon gesagt, habe ich im Prinzip nie aufgehört, an neuem Material zu arbeiten. “Legends from the storm” zum Beispiel entstand bereits 2005. Auch drei andere Songs entstanden zwischen 2005 und 2007. 2008 und 2009 waren für mich Zeiten der Weiterentwicklung im Soundtrack-Bereich, sodass ich kurzzeitig dachte, ENID aus Zeitgründen ganz aufgeben zu müssen. Ende 2009 entschloss ich mich aber dazu, doch noch zumindest ein Album fertig zu machen, weil einfach zu viel Material existierte, dass uns zu schade erschien, um es einfach wegzuwerfen. Zu “Legends from the storm” in seiner jetzigen Premix-Gestalt kann man eigentlich nur soviel sagen, dass es eine erste Rohfassung darstellt, die noch einige Schwächen hat. Inzwischen gibt es schon eine finalere Fassung, mit ausgearbeiteteren Keyboards, und einer neu aufgenommenen Gesangslinie. Auch der Bass ist auf dem neuesten Stand und einige Übergänge wurden bearbeitet. Insgesamt sind wir nun so weit, dass der “Grundsound” sich herauskristallisiert hat, den das Album haben wird. Insofern bin ich optimistisch, Ende des Jahres mit der Produktion fertig zu sein.

 

Am 16. Oktober sollte beim Waldeshall Festival euer Reunion Gig stattfinden. Warum klappt es nun doch nicht?

Martin: Die Gründe sind im Prinzip schnell aufgezählt. Es war nicht möglich, in der Kürze der Zeit ein unseren Ansprüchen genügendes Set abzuliefern. Die technischen Herausforderungen (Halbplayback für die Orchestersounds, was einen enormen logistischen Aufwand auf der Bühne und ein gut auf den Klick eingespieltes Bandgefüge voraussetzt), sowie die mangelnde Probenzeit haben letztlich zu diesem Schritt geführt. Wir denken, dass zu diesem Zeitpunkt keiner – weder wir als Band, noch die zahlenden Zuschauer – etwas davon gehabt hätte, wenn wir mit aller Gewalt versucht hätten, das Ganze “irgendwie” zu stemmen.

 

Sind die Aufnahmen fürs neue Album schon abgeschlossen oder seid ihr noch dabei? In welchem Studio wart ihr und was könnt ihr uns über das neue Album sagen?

Martin: Im Moment sind die Aufnahmen schon sehr weit gediehen. Schlagzeug und Gitarren sind komplett fertig, der Gesang steht noch etwa zur Hälfte aus. Was dann noch fehlt, sind einige Cello-Overdubs, sowie kleinere Percussion-Sachen, die ich selbst noch drüberspielen werde. Alles wurde in meinem eigenen Studio, dem Aurora Musiklabor aufgenommen. Auch gemischt wird hier, was mehr oder weniger ein paralleler Arbeitsprozess ist. Die Tatsache, ein eigenes Studio zu haben, eröffnet viele Möglichkeiten, die wir bei allen vorhergehenden Alben nicht hatten. Erstmals stehen alle Dinge zur Verfügung: Aufnahmetechnik samt Räumlichkeiten, exzellente Sample-Libraries und – vor allem – nahezu unbegrenzte Zeit. Zum Album selbst hat, wenn nicht ein Konzept, so doch einen roten Faden. Es ist inspiriert vom “Parzival”-Roman Wolfram von Eschenbachs. Es gibt Stücke auf dem Album, die sich konkreten Szenen oder Figuren des Romans widmen, aber auch solche, wie zum Beispiel “Legends from the storm”, die sich lediglich eines bestimmten Motivs, oder einer Stimmung bedienen, die mich während der Beschäftigung mit dem Stoff beeinflusst, bzw. inspiriert haben. Grundsätzlich wage ich zu behaupten, dass das Album mehr aus einem Guss ist als die Vorgänger, von “Abschiedsreigen” vielleicht einmal abgesehen. Es ist reifer und ausgearbeiteter, mit einem deutlicheren Schwerpunkt auf die orchestrale Ebene, die nun auch endlich nach Orchester klingt und nicht bloß nach Keyboard-Sounds.

 

Habt ihr mittlerweile schon einen Titel oder das Coverartwork?

Florian: Beides steht noch nicht fest. Ich habe allerdings schon erste Ideen für eine optische Umsetzung des Albums gesammelt, wie man auch auf der Myspace-Seite bereits sehen kann. Wahrscheinlich ist, dass wir das erste Mal seit dem Demo von 1997 wieder auf Gustav Dorés Arbeit zurückgreifen werden, und dort vermutlich etwas aus dem „Idylls of the king“-Zyklus. Einen Titel gibt es noch nicht.

 

Wie klingen die anderen Songs verglichen mit „Legends from the storm“?

Martin: Vom Sound her klingen sie sehr ähnlich, was vor allem am “Band”-Sound liegt, der auf allen Songs mehr oder weniger unverändert klingen wird. Was speziell diesem Song fehlt, sind die großen Orchesterlandschaften, aber man hört auch hier sehr deutlich, dass ich “filmischer” arbeite, was den Einsatz und das Programming der Keyboards angeht. Das Klavier zum Beispiel setzt sich aus drei verschiedenen Klaviersounds zusammen und ist so programmiert, dass er sich subtil verändert. Charakteristisch sind aber die Chöre und die Lead-Vocals generell, die auch weiterhin ein Merkmal für die Musik von ENID sind. Ebenso bleibt es auch nicht ausschließlich beim cleanen Gesang… man darf also gespannt sein.

 

Und wie hat sich euer Stil seit „Gradwanderer“ verändert?

Martin: “Gradwanderer” kann man nur als gescheiterten Versuch zahlreicher Experimente ansehen. Rein soundmäßig wollte ich zu viel für zu wenig Recording-Zeit, die Keyboard-Sounds waren dem orchestralen Arrangement nicht gewachsen, die Songs waren zu unausgereift, und insgesamt nicht aus einem Guss. Jeder Song für sich genommen ist vielleicht gut und richtig so, aber das Album insgesamt erscheint wie ein Sammelsurium. Damals war es genau das, was ich wollte, heute denke ich da anders. Dennoch lässt sich der Stil nach wie vor nicht eben leicht bestimmen, weil die Musik eben nach wie vor keinem “Klischee” unterliegt. Um einen Eindruck zu vermitteln, könnte man die Begriffe Soundtrack, orchestral, episch, lyrisch und aggressiv heranziehen. Rein klanglich gibt es die großen Elemente des klassischen Chors, des Orchesters, filmischer Keyboards und – wie immer sehr zentral – die Band. Die Symbiose dieser Elemente ist ENID.

 

Welchen Wert haben die Texte für euch? Gibt es ein textliches Konzept auf eurem neuen Album?

Martin: Die Texte waren immer sehr wichtig, und so ist es auch geblieben. Bei den meisten Songs auf dem neuen Album waren die Texte, bzw. deren Entwürfe Ausgangspunkt für die Musik. Das Konzept, bzw. die Inspirationsgrundlage, habe ich vorhin schon beschrieben. Die Formen des lyrischen Ausdrucks sind freier geworden, auch formal. Zwar gibt es nach wie vor strophisch gegliederte Songs, aber die Art und Weise des Schreibens ist eine geworden, die sich radikaler dem Klang öffnet als sich einer metrischen Struktur zu unterwerfen, was vielleicht weniger für den Leser sichtbar ist, als für mich. Vielmehr war für mich wichtig, mehr vom Klang her zu arbeiten. Vielleicht ist auch das der Grund dafür, dass alle Texte auf Englisch geschrieben sind, ein weiteres Novum, was so gar nicht einmal geplant war, was sich aber im Schreibprozess so ergeben hat.

 

Beschreibt eure Musik mit sieben Adjektiven.

Martin: Diese Art Fragen waren schon früher nicht leicht zu beantworten. Eben habe ich so etwas schon versucht. Orchestral, episch, filmisch, emotional, aggressiv, lyrisch, bisweilen tollkühn.

 

Welchen Stellenwert nimmt die Musik generell in eurem Leben ein?

Martin: Ich kann nur für mich selbst sprechen, und mein Leben ist die Musik, so kann man es wohl sagen. Nicht nur weil ich Musik mache seit ich denken kann, sondern auch weil ich meinen Lebensunterhalt mit der Musik bestreite. Sie ist somit Ausdrucksmittel, Lebensmittel und Überlebensmittel in einem.

 

Wie sieht es mit dem Studio Report Video aus? Ihr hatte auf euer MySpace Seite gefragt, ob ihr eins machen sollt.

Florian: Das ist leider jetzt zeitlich ein wenig schwierig, denn mittlerweile ist ein Großteil der Instrumente ja bereits aufgenommen. Stattdessen werden wir vielleicht einen kurzen Trailer mit Szenen aus dem Studio und etwas neuer Musik online stellen.

Ein neues Label habt ihr noch nicht in Aussicht, oder?! Wie waren eure Erfahrungen mit CCP und Code666?

Florian: Der alte Vertrag mit code666 ist mittlerweile ausgelaufen. Wir wollen erst einmal das Album vollständig fertig machen und dann auf Labelsuche gehen. Das ist etwas, was wir früher aufgrund der finanziellen Abhängigkeit nicht konnten, das wir uns jetzt aber durch Martins eigenes Studio erlauben können. Unsere Erfahrungen mit CCP waren… nun ja, wir sind dann jedenfalls relativ schnell zu code666 gewechselt, das sich in den letzten zehn Jahren zu einer beständigen Underground-Größe für Randgruppenmusik entwickelt hat. Durchaus immer noch ein interessantes Label.

Mit wem würdet ihr am liebsten auf Tour gehen?

Martin: Ich persönlich wäre ja einer Tour mit Nightwish nicht abgeneigt. Aber auch wenn Sting anfragen sollte, würde ich nicht ablehnen. Ernsthaft werde ich auf diese Frage erst antworten, wenn wir auch final in der Lage sind eine Tour zu bestreiten.

 

Welche Pläne habt ihr für die Zukunft von Enid?

Martin: Meine Pläne beschränken sich erst einmal auf die nähere Zukunft: Abschluss und Release des Albums, intensive Probenarbeit und das Reunion-Konzert. Alles weitere wird sich daraus ergeben.

 

Ich bedanke mich für das Interview und überlasse euch die abschließenden Worte.

Martin: Ich bedanke mich für das Interview und möchte an dieser Stelle allen treuen Fans Dank sagen, die über all die Jahre den Glauben und die Hoffnung an ENID nicht verloren haben. Auch wenn es dieses Jahr auf dem Waldeshall-Festival noch nicht geklappt hat: nächstes Jahr werden ENID dort sein.

http://www.myspace.com/enidofficial

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