Depraved Interview

Deutschland Todesblei-Gießerei hat ein neues Meisterwerk zu Tage gefördert. Es hört auf den Namen „Distorted Theories“ und ist eines der heißesten jungen Eisen, die die heimische Szene ins Rennen um den internationalen Death Metal-Thron schickt. Depraved nennt sich die aus Frankfurt an der Oder stammende Viermann-Truppe. Die beiden Demos, „Cryptic“ (1996) und „Elixirs Of Decay“ (1997), riefen zwar durchweg positive Resonanzen hervor und halfen der Band, ihren Status in der Szene zu untermauern, brachten allerdings keinen Erfolg bei der Suche nach einer geeigneten Plattenfirma.

Eine harte Zeit folgte, als Bruce (Schießbude) und Engel (Gitarre) plötzlich alleine dastanden. Doch die Freude an der Musik war während dieser Phase der Silberstreif am dunklen Horizont. Nach der Durststrecke ging es stetig bergauf mit Depraved. Vom den im benachbarten Raum probenden Riger liehen sich die beiden mit Ingo und Peter kurzerhand deren Gitarristen bzw. Sänger aus. Frei nach dem Motto „frisches Blut bringt den Death Metaller in Schwung“ gingen die vier mit Elan ans Werk und komponierten eine ganze Schar Todesbleikracher, denen es weder an Brachialität noch an Groove mangelt und für die sich auch das österreichische Label CCP begeistern konnte. „Distorted Theories“ ist ein ebenso erfrischendes, wie durchdachtes Album, das Freunde komplexer Klänge ebenso begeistern wird wie Old School Puristen. Gitarrist Peter beschreibt die Depraved-Kompositionen als eine Verbindung von „Härte, Aggressivität und Schnelligkeit“ auf der einen und „ruhigen, melodiösen, getragenen Stücken, um die Stimmungen und Gefühle auszudrücken“ auf der anderen Seite.

Diese Mixtur ist das Grundrezept von Depraved: eine Weiterentwicklung ist für den Klampfenmann jedoch wünschenswert. „Wichtig ist eine sich entwickelnde Perfektionierung unserer kompositorischen Fähigkeiten und eine Steigerung eines jeden an seinem Instrument.“ Peter möchte auch mit Depraved „die Maßstäbe in Sachen Death Metal erweitern können und zahlreiche Auftritte und Tourneen absolvieren“. Dem kann Sänger Ingo nur beipflichten: „Wenn man live spielt, weiß man erst warum man Musik macht. Das Gefühl, wenn die Meute nach deiner Musik abbangt und grölt, kann kein Studio und keine CD wettmachen. Somit sind natürlich Livegigs geplant – denn eine Band die nicht live spielt, ist keine Band.“ Für ein perfektes Gig-Ambiente würden sich Depraved auch mächtig ins Zeug legen und kein Risiko scheuen. „Ich würde sagen, daß das perfekte Szenario für Depraved eine unheimlich blutige und qualvolle Schlacht wäre. Du hebst die Rübe aus einem Schützengraben und dann zermalmt dich der Depraved-Panzer. Und dann hast du es erlebt.“ Puh, da stellt sich die Frage, ob angesichts der niedrigen Überlebenschance großer Andrang bei den Konzerten der vier Frankfurter herrscht. Und da die Szene in der Heimatstadt des Quartetts laut Peter ohnehin „nicht besonders groß, aber zu gelegentlichen Events mobilisierbar“, sollte man Depraved wohl lieber nicht dort auftreten lassen, um nicht das Aussterben des Frankfurt an der Oder’schen Death Metallers einzuläuten.

Aber die vier Jungs legen selbst Wert auf ihre heimische Szene und holen sich die „Opfer“ lieber von auswärts in die Stadt, da sie „eher selten zu Konzerten fahren, sondern lieber die Bands zu sich kommen“ lassen. Auch eine Taktik. Aber Depraved scheinen ohnehin eine etwas exotische Art zu haben, ihre Fans in Ekstase zu versetzen. Sie spielen ihre Fans heiß und bringen sie dann mit einem Kult-Coversong dazu, ihre Unterwäsche zu einem Fall für die Altkleidersammlung zu verarbeiten. Bruce erzählt: „Neben geilen Konzerten meiner Lieblingsbands war ein Gig von uns, das beste Erlebnis, das ich hatte. Wir hatten als kleines Schmankerl »Raining Blood« von Slayer geprobt. Der Auftritt war so schon geil, aber als wir aber den Song anstimmten, brach einfach die Hölle los. Ich kann mich noch gut erinnern, daß ich beim Spielen immer einen etwas älteren Typen mit wenig Haaren (aber mit einem kleinen Zopf) beobachtet habe, wie er leicht mit dem Fuß mitstampfte. Neben ihm stand wohl seine Ehefrau die bestimmt dachte, sie sei in der Hölle. Als wir dann den Slayersong auspackten, gab es für ihn kein Halten mehr. Mann, der hat gebangt bis ihm der Schlüpfergummi geplatzt ist und das ist der schönste Lohn für einen Musiker“, grinst der Schlagwerker stolz. Dazu hat er auch allen Grund, schließlich entstanden die Songs der Truppe nicht durch eine (un-)göttliche Eingebung im Traum, sondern durch disziplinierte Arbeit, wie Saitenhexer Peter deutlich macht: „Am Anfang meiner Tätigkeit stand das musikalische Vorankommen (für mich persönlich wie auch für Depraved als Ganzes) im Vordergrund. Wir arbeiten hart und energisch an unseren Songs und standen auch schon verzweifelt im Proberaum und wußten nicht weiter. Im Laufe der Zeit verschmolzen wir aber immer mehr zu einer Vierer-Einheit, die mehr als nur die Musik verbindet.

Das wiederum äußert sich im Songwriting, wo auch genre-fremde Themen in die Kompositionen eingeflochten werden.“ So lassen sich die vier Mannen zwar von anderen Musikstilen inspirieren, ihrem Stil wollen sie jedoch auf alle Fälle treu bleiben, wie Ingo betont. „Ich denke, daß wir den größten Teil unseres Lebens Metal-Maniacs sind. Das wird sich auch nicht ändern. Sicherlich entstehen interessante Situationen, wenn man sich von anderen Stilen inspirieren läßt (z.B. der Klassik), aber dabei bleibt es dann auch schon. Ich finde, daß zu viele Bands uns vorgemacht haben, daß sie mit großartigen Stilwechseln ihre alten Fans vor den Koffer geschissen haben. Da kam es oft zu sogenannten »Innovationen« und schon hört man von Sepultura halben Hip-Hop und von Paradise Lost Depeche Mode-Scheiße. Für Depraved kommt so etwas nicht in Frage. Wir machen Metal und das ist es, was wir machen wollen.“ Und das nicht erst seit gestern. Bruce ist dem Schwermetall schon vor über einem Jahrzehnt verfallen. Die Dekade scheint dem Erinnerungsvermögen des Frankfurters allerdings nicht besonders gut bekommen zu sein. „Ich weiß es nicht genau wie ich zum Metal gekommen bin“, sinniert er. Und dann kommt der Geistesblitz. „Aber ich kann mich gut erinnern, wie ich als kleiner Pisser das erste Mal das Riff zu »Smoke On The Water« gehört habe und sehr fasziniert war. Dann ruhte die musikalische Geschichte erst mal Jahre bis ich im zarten Alter von etwa zwölf bei einer Reise einen schwedischen Punk kennengelernt habe. Der hat den ganzen lieben langen Tag nur Metal gehört (so was heißt bei mir nicht »Punk«, sondern »Metaller« – Anm. der Verfasserin.). Ungewöhnlich für einen Punk, nicht wahr? Ich war so hin und weg von diesem Sound – es war Saxons »Strong Arm Of The Law«, man höre und staune – daß ich ihm gleich am Tag seiner Abreise die Tapes geklaut habe (Na, macht man denn so was – Anm. der zeigefingererhebenden Verfasserin).

Und dann hatte ich eine Priest und eine Saxon-Kassette und war der Chef an der Schule. Zu der Zeit waren Inge und Peta noch Sahne bei Vadda´n im Sack. Ab jetzt war erst Mal ewig NWOBHM angesagt, bis mir das nicht mehr hart genug war und ich Bands wie Kreator, Destruction, Slayer oder Death kennengelernt habe. Und heute rühre ich selber die Kessel in einer Death-Metalband – ist schon ein gutes Gefühl“, rekapituliert Bruce seine verblichenen Jugendtage. Neben dem Kramen in Erinnerungen und dem Ausrechnen seiner bald fälligen Rentenzahlungen bleibt dem Drummer noch Zeit, die Felle zu gerben und sich mit lyrischen Betätigung zu entspannen. „Meiner Meinung nach ist der Text zu »Distorted Theories« der beste auf der CD. Ich versuche darin die Welt aus der Sicht eines trockenen Schmanklers zu sehen, da ich mit Suchterkrankungen ein wenig Erfahrungen habe.“ An Ideen mangelt es Bruce daher nicht und in Laufe der Jahre hat er an seinem Stil gefeilt. Aller Anfang war jedoch auch für den Drummer schwer. „Wir haben uns zu Beginn nie einen Kopf gemacht was die Texte anbetrifft. Doch mit zunehmender musikalischer Professionalität mußten auch irgendwann mal ordentliche Texte her. Ich habe mich dann freiwillig gemeldet einen zu schreiben und die Jungs der Meinung waren, daß der Text sehr gut war, bin ich dabei geblieben. Das heißt aber nicht, daß es mir leicht fällt, gute Lyrics zu schreiben. Es sind keine typischen Metal-Texte, aber teilweise fließen viele persönliche Erfahrungen mit ein. Ich lasse mich immer von einem Buch meines Kumpels beeinflussen, dessen Schreibweise mir sehr gefällt. Dann überlege ich mir, über was man schreiben könnte und schon geht es los. Ich verfasse aber nicht alle Texte selbst – »State Of Betrayal« ist beispielsweise von Ingo und »Frozen« kommt von Peter.“

Neben der Abwechslung, die das Schreiben mit sich bringt, können die Jungs ganz nebenbei zudem ihre Fremdsprachenkenntnisse aufpolieren. Denn über die Verwendung des Deutschen in den Depraved-Texten haben die vier Musiker „ehrlich gesagt noch nie ernsthaft nachgedacht“. Bruce sagt: „Wir hatten mal mit Ingo darüber gesprochen, ob er sich vorstellen könnte in Deutsch zu singen. Wir sind jedoch zu dem Entschluß gekommen, daß Englisch einfach besser zu unser Musik paßt. Global gesehen ist es vielleicht auch nicht das Schlechteste seine Texte in Englisch zu verfassen, da man sie so einem breiterem Publikum zugänglich machen kann.“ Leider müssen sich die Fans zunächst auf ihr Gehör beschränken, wenn sie etwas über die Inhalte von „Distorted Theories“ erfahren möchten, wie Bruce erklärt: „Der Text ist nicht abgedruckt, da wir nur ein achtseitiges Booklet zur Verfügung hatten und er einfach nicht mehr reinge-paßt hat. Schade eigentlich.“ Allerdings. Doch vielleicht findet sich ja auf der geplanten Internetseite von Depraved noch ein lauschiges Plätzchen für die lyrischen Ergüsse der Truppe.

„Eine eigene website ist in Arbeit“, berichtet Peter. „Wir stehen der Vermarktung des Metal in den neuen Medien eher positiv gegenüber. Sie bietet die Möglichkeit rund um die Uhr neue Band anzutesten und in neue Songs reinzuhören und visuelle Eindrücke wahrzunehmen. Ich persönlich bin zwar noch nicht vernetzt, habe aber schon des öfteren die Mög-lichkeit gehabt reinzuschauen. Solange die Metal-Fangemeinde auf die Printmedien zurückgreift – sprich noch nicht jeder DRIN ist – wird sich der Einfluß von neuen und alten Medien ungefähr ausgleichen.“ Hoffentlich. Schließlich hat das gute alte Eternity im A 5-Format einen Charme, den man im Netz der Netze nur schwerlich vermitteln kann (sorry Kai!).

Depraved versprühen ebenfalls ihren ganz eigenen Charme. Denn obwohl der Death Metal die stilistische Basis für die Kompositionen des Quartetts bildet, sind die Frankfurter Jungs, differieren die persönlichen Vorlieben der vier Musiker. Das Ergebnis ist eine spannende Todesbleimixtur, die über den Horizont des Death Metal hinausblickt. Depraveds Wurzeln liegen nämlich nicht nur Saxon-, Deep Purple- und Judas Priest-Kompositionen begraben, sondern auch im Thrash und Black Metal, wie Fellgerber Bruce deutlich macht. „Meine und Engels Inspiration dürfte haupt-sächlich in den älteren Death- und Thrash-Sachen liegen. Bei Ingo und Peter würde ich es eher so sehen, daß sie doch mehr von den Black-Metal-Sachen inspi-riert waren. Es bei den Proben immer sehr gut zu beobachten, daß Peter mit seinem Gitarrenspiel eher die melodische Seite abdeckt und Engel dann doch das technisch angehauchte Riffing des Death und Thrash Metal bevorzugt. So entsteht die meiner Meinung nach gelungene Mischung, die den Depraved-Sound schließlich ausmacht.“ Die Bandmit-glieder scheinen sich mit ihren unterschiedlichen Geschmäckern jedenfalls gut zu ergänzen. Das war aber nicht immer so. Und nicht nur musikalische, sondern auch menschliche Differenzen haben dazu geführt, daß nicht immer eitel Sonnenschein geherrscht hat.

Bruce erinnert sich: „Das schlimmste Erlebnis war für mich einfach die Tatsache, daß man – wenn man anfängt Musik zu machen – viel mit Spinnern und Heinis zu tun hat, bei denen man erst später bemerkt, daß sie nicht am gleichen Strang ziehen. Diese Tatsache war für mich persönlich sehr schmerzhaft und es mich schon sehr angekotzt, daß dann in aller Öffent-lichkeit rumgeprahlt wurde, daß man in einer Band spielt, aber eigentlich nicht viel dafür getan wurde. Sprich: sich ans Instrument set-zen um zu üben oder etwas anderes für die Band machen. Aber ich hoffe und glaube fest daran, nun die optimale Beset-zung für Depraved gefunden zu haben. Jetzt ist es einfach so, daß jeder weiß was er zu tun hat und das dann auch gemacht wird. Zudem steigert die Tatsache, daß unser Debut nun auf dem Markt ist natürlich enorm die Stimmung innerhalb der Band.“ Abheben werden Depraved aber trotz erster Erfolge nicht. Und obwohl Ingo „die Grenzen zwischen Underground und kommerziellen Sachen nicht mehr so genau ziehen“ kann, bedeutet ihm der Begriff „Underground“ etwas, nämlich „etwas zu machen mit allen möglichen Mitteln. Soll heißen, man hört sich unbekannte, schlecht aufgenommene Tapes an und ließt kleine, aber ehrliche Blätter. Ich denke, daß es immer noch einen wahren Underground gibt, aber irgendwie wird unter diesem Prädikat oft auch eine Verkaufsstrategie entwickelt. So machen Bands den Sound auf ihrem Release auf extra Scheiße, nur damit es nach »Garage« klingt, obwohl sie in einem professionellen Studio aufgenommen haben. Also teilweise wird aus einer kleinen, aber ehrlichen Szene die nie den Markt überschwemmen wollte (und konnte) ein Konzept gemacht, welches eben genau diese »Überflutung« bewirkt. Aber ich blicke da auch nicht mehr so durch. Für uns ist jedenfalls oberste Priorität unsere Musik, unseren Sound und unsere Texte so zu machen, wie wir wollen – egal in welches Raster wir damit fallen.“ Dennoch steht der Sänger auf Bands wie Fermenting Inn-ards, Lunatic Invasion, Cryogenic, Golem oder Harmony Dies. Aber nicht nur mit Musikhören beschäftigt sich der Vokalakrobat, sondern auch mit der gemein-samen Lieblingsnebenbeschäftigung der Band, dem Partyfeiern inklusive kräftigem Alkoholkonsum.

Ansonsten gehen die vier Musiker zumindest hobby-technisch getrennte Wege. Peter ist auf dem Weg zu seiner Freundin, um mit ihr die „kulturellen Angebote vor Ort und in der Umgebung zu nutzen und einen gewissen förderlichen Abstand von der Musik zu bekommen, Bruce leidet in der Zwischenzeit beim Tätowierer um die Ecke während es sich Ingo mit einem guten Buch in der heimischen Stube be-quem macht. Einzig Engel hat mit Kunst und Kultur wenig am Hut und hält sich lieber an den Death Metal. Da weiß man wenigstens was man hat.

Statements von Peter
Musik – das Schönste was es gibt
Depraved – mittlerweile fast zum Lebensmittelpunkt geworden, obwohl meine Zeit für musikalische Aktivitäten eventuell in Zukunft durch das Studium eingeschränkt ist – aber es wird sich immer ein Weg finden
Haß – kann super in Musik umgesetzt werden
Religion – hat mit ihrer Scheiße-Erzählerei viel Leid für die Menschheit gebracht
Spiritualität – überflüssig wie ein Pickel in der Kerbe. Es sei denn man glaubt an sich selbst
Angst – gesunde Angst ist Ordnung, krankhafte dagegen eine Geißel
Ehrlichkeit – Grundlage für ein vernünftiges Auskommen
Liebe – der Fels in der Brandung
Freundschaft – unersetzlich

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