December Dawn Interview

Er neigt nach eigenen Angaben zur Weitschweifigkeit, leidet mit 29 bereits an seniler Verlangsamung und singt passenderweise in einer Doommetalband: Jörg „Schorsch“ Schlichting von der Band December Dawn. Doch die Musik der Bremer Band nur mit dem Etikett „Doom“ zu versehen, wird der Musik der Band nicht gerecht. Auch Gothicelemente haben einen großen Stellenwert im Stil der Band, nachzuhören auf der zweiten CD der Band, „Amplexus Melancholiae“. Daß er in punkto Weifschweifigkeit nicht zuviel versprochen hat, bewies der sympathische Sänger im Interview mit ausladenden, nicht immer ganz erstzunehmenden Antworten, die einen tiefen Einblick gewähren ins Universum von December Dawn…

Als Einstieg möchte ich Dich bitten, zuerst einmal auf die bisherige Geschichte der Band einzugehen…
Jörg: „Die ersten Regungen unseres Babys wurden im Oktober ´95 spürbar. Eine Zeit lang kamen ständig neue Leute zur damaligen Kerngruppe um Marc Siemering (unser ehemaliger Gitarrist; heute unser Manager), Schlagzeuger Armin ‚Bibo‘ Wätjen und mich, Jörg ‚Schorsch‘ Schlichting, am Gesang hinzu – und gingen wieder. Schließlich fanden wir uns im Sommer/Herbst ´96 mit Bassist Martin Diers, Gitarrist Andre Pasedag und Keyboarder Marcus ‚Cozy‘ Meyer sowie Sängerin Ira Wohlgemut zu der Besetzung zusammen, in der wir Ende ´96/Anfang ´97 unser eigenproduziertes Debüt „Of Gloom And Light“ einspielten. Wir hatten uns überlegt, daß man mit einer kompletten CD besser als nur mit dem üblichen 4-Track-Tape an Auftritte kommen würde. Außerdem wollten wir unsere Songs endlich einmal so hören, wie sie klingen sollten; mit gutem Sound und nicht als Proberaumaufnahme. Die Reaktionen, die nach der Veröffentlichung bei uns eintrafen, überraschten uns enorm. Wir hatten nicht recht geglaubt, daß sich wirklich jemand für unser langsames und düsteres Zeug interessieren könnte. Als uns dann aber nach und nach durchweg gute bis sehr gute Kritiken erreichten und uns das Rock Hard sogar mit 8,5 Punkten bedachte, waren wir doch sehr erstaunt… Danach haben wir vermehrt die Bühnen unsicher gemacht, was schließlich in dem Auftritt mit Lake of Tears und einem Local-Opener-Gig auf der Seigmen/Lacuna Coil/The Gathering -Tour gipfelte.“

Beschreibe doch mal die hinter December Dawn stehende Konzeption.
J.: „Unser Konzept legt größeren Wert auf Inhalte und Atmosphäre als auf ein Festklammern an vordefinierten Stilelementen. Wir wollen eine Atmosphäre der Nachdenklichkeit und Melancholie schaffen, wollen Härte, Schönheit und Tragik miteinander verbinden, wollen der Düsternis begegnen, ohne an ihr zu verzweifeln. Wir beschäftigen uns mit Vergänglichkeit, Leiden und Tod, mit Auflehnung und Hoffnung; mit dem, was in den Menschen schrecklich und wunderbar ist. Die Musik soll so beschaffen sein, daß sie in der Lage ist, Facetten von all diesem aufscheinen zu lassen. Die in den einzelnen Songs verwendeten Stilelemente variieren dabei, aber aus dieser Vielfalt soll sich ein großes Bild ergeben. Das Bild, an dem wir malen, soll in seiner Gesamtheit auf die dunkleren Seiten des Seins als menschliches Wesen verweisen. Der Mensch ist in seiner Sterblichkeit permanent existentiell bedroht; dies wollen wir in ästhetisch ansprechender Form vor Augen führen. Wir wollen sagen: Gedenke des Todes und nutze den Tag.“

Wie gestaltete sich die Entstehungsgeschichte Eurer neuen Platte, „Amplexus Melancholiae“?
J.: „Da die Verkäufe der ersten Scheibe unerwartet gut liefen – wir haben nur noch ca. 20 Exemplare – waren wir schuldenfrei, ermutigt, und hatten mittlerweile einen ganzen Haufen neuer Songs in der Hinterhand. Wir diskutierten darüber, ob wir uns als nächstes mit eigenem Aufnahme-Equipment oder einer Klein-PA ausstatten sollten. Wir beschlossen dann aber, nicht zu lange mit der Veröffentlichung neuen Materials zu warten, um die gerade unverhofft gewonnene Aufmerksamkeit nicht zu sehr abflauen zu lassen. Es folgten die üblichen endlosen Diskussionen, welche Songs enthalten sein sollten, ob man noch unfertiges Material für die neue Scheibe bearbeiten sollte etc. Dann schlossen sich endlose Proben für die ausgewählten Songs an („Wie, f? Ich hab´ da immer fis gespielt!“), bis es schließlich ins Studio und ans Eingemachte ging. Wie sich dann herausstellte, sind Taktelle die natürlichen Feinde des laid-back-Spiels, sind alte und super eingespielte Klampfen nicht grundsätzlich auch noch bundrein; und wenn ein Toningenieur sagt „Das mit der Synchronisationsspur für die Keyboards klappt schon“, dann darf man sich auf einen spannenden Mix einstellen („Halt durch, du Scheißteil! Nur noch drei Takte! Verd…! Also schön, Clouds die Achtzehnte…“). Aber dann war schließlich alles im Kasten, und insgesamt ein halbes Jahr harter Arbeit heißt jetzt „Amplexus Melancholiae““.

Wie würdet Ihr Euch selbst einordnen? Beschreibe doch am besten mal Euren Sound mit drei Worten.
J.: „Drei Worte nur? Fies! Darf ich zusammengesetzte Wörter verwenden?“

Ähhhh…eigentlich n…
J.: „…Also denn: abwechslungsreiche dunkel-schöne Doom-Metal-Songs!“

So ein Schlingel, nicht mal so eine Frage kann er kurz beantworten, hehe…Seht Ihr Euch eigentlich als Teil der Doomszene bzw. irgendeiner Szene? Schließlich sitzt Ihr meiner Meinung nach ein wenig zwischen den Stühlen (was ja prinzipiell nichts Schlechtes sein muß, im Gegenteil), für den traditionellen Doom habt Ihr zu viele Gothicelemente drin, für Gothic hingegen ist der Anteil der harten Lavariffs ein wenig zu hoch…
J.: „Auch wenn wir immer wieder in die Nähe des Gothic bzw. Gothic-Metal gestellt werden, sehen wir uns selber am ehesten der Doomszene zugehörig – und live hört man das auch stärker, da auf der Bühne natürlich noch etwas mehr Druck und Wucht spürbar wird als auf einer schön produzierten Scheibe. Aber Du sprichst unsere eigene Meinung aus: Wir haben selbst öfter bemerkt, daß unsere Musik einigen Metallern ein wenig zu langsam, düster und zu ’schön‘, andererseits einigen Düsterfreaks/Gothics aber wiederum zu heftig und metallisch ist. Aber darüber sind wir gar nicht so unglücklich. Es ist schließlich ein Indiz dafür, daß es uns gelungen ist, eine Musik zu erschaffen, die sich durch Eigenständigkeit und Individualität wenigstens zum Teil den gängigsten Kategorisierungen entziehen kann. Zwischen den Stühlen sitzend kann man sich außerdem zu beiden Seiten Gehör verschaffen, und es ist schließlich eine wunderbare Sache, mit der eigenen Musik viele Leute berühren zu können.“

Habt Ihr Euch mit Eurer aktuellen CD auch bei Labels beworben? Hat schon eins angebissen?
J.: „Bis jetzt haben wir uns noch nirgends beworben, da wir eigentlich warten wollten, bis wir den betreffenden Labels die neuen Pressereaktionen vorlegen können. Jetzt hat sich aber bereits ein anscheinend neues und im Wachstum begriffenes englisches Label von sich aus an uns gewandt, und wir werden uns über die Bedingungen einer Zusammenarbeit unterhalten. Mal sehen…“

Was mir – neben der Musik natürlich – auffiel, war die liebevolle, ausführliche Gestaltung Eures Inlays und des Infomaterials…Woher stammen denn diese sehr schönen Photos?
J.: „Vielen Dank für das Kompliment. Wir bemühen uns, unsere Musik immer in einem ansprechenden ästhetischen Rahmen zu präsentieren, sei es die Aufmachung der Veröffentlichungen oder die Bühnenpräsentation. Unsere Hausphotographin und Layouterin Barbara Behrens hat bei Covergestaltung, Booklet und Info ganz hervorragende Arbeit geleistet. Fast alle Photos stammen von ihr. Das Cover von „Of Gloom and Light“ war ein Photo, daß von einer ehemaligen Freundin Bibos beim Irlandurlaub aufgenommen wurde. Das Cover von „Amplexus Melancholiae“ hat eine ehemalige Studienkollegin von mir in Anlehnung an einen Grabstein auf einem südfranzösischem Friedhof gestaltet und mir zum Geburtstag verehrt. Als wir dann auf der Suche nach einem Motiv waren, lag das Gute schon so nah und mußte nur noch eingescannt werden.“

Im Inlay sind auch zu jedem Song Kommentare abgedruckt…Mal ganz ehrlich: Habt Ihr Angst, daß Eure Musik nicht für sich selbst spricht, oder seht Ihr das mehr als zusätzlichen Service für den Hörer an, um ihm den Zugang zu erleichtern?
J.: „Infame Unterstellung (Aber immer doch, hehe – Anm. d. Verf.)! Anmerkungen zu den einzelnen Songs eines Albums sind eine Sache, die mir auf Scheiben aus den 70ern häufig begegegnet ist, z.B. bei den alten Uriah Heep, und die ich sehr gut fand, aber auf neueren Scheiben in der Regel vermisse. Sie boten einen zusätzlichen Reiz, sich mit der Scheibe zu befassen. Man konnte beim Hören der Musik in den Texten und Anmerkungen stöbern; man konnte etwas über die Umstände der Entstehung der Songs, Gedanken der Musiker zu ihnen und den musikalischen Besonderheiten der Stücke erfahren und wußte nachher einfach etwas mehr über die Stücke, die Musik und die Musiker. So etwas, fanden wir, sollte man wieder anbieten. Die Kommentare im Booklet zu „Amplexus..“ enthalten außerdem auch Zusammenfassungen der behandelten Inhalte. Sie sollen es dem Hörer bzw. Leser erleichtern, seine eigene Interpretation des jeweiligen Textes zu entwickeln. Und wenn man keine Lust hat, sich lange mit einem Text zu beschäftigen, so weiß man trotzdem, worum es in dem Song in etwa geht.“

Daß euch die Texte wichtig sind, beweist auch, daß ihr sogar Übersetzungen ins Deutsche anbietet… Würdet Ihr sie also als gleichwertig mit der Musik sehen?
J.: „Für mich als Sänger ist sehr wichtig, worüber ich singe, um entsprechend singen zu können. Inhalt und Ausdruck bestimmen sich gegenseitig, gehen Hand in Hand. Auf die ganze Band ausgedehnt, verhält es sich so, daß der Inhalt der Texte auch die verwendeten musikalischen Ausdrucksformen beeinflußt. Ich würde sagen, daß die Texte bei uns wichtiger sind als beim Gros der meisten anderen Bands, daß sie aber dennoch der Musik nicht völlig gleichgestellt sind. Sie sind ein wichtiger Teil der Musik, die Wirkung eines Songs wird von ihnen mitbeeinflußt, und die Aussage des Songs entsteht aus dem Zusammenwirken von beidem.“

Was kommt bei der Entstehung eines neuen December Dawn-Songs zuerst, der Text oder die Musik?
J.: „Das ist unterschiedlich. Manchmal kommt einer mit einem Riff oder mehreren Ideen für einen neuen Song im Proberaum an, und ich sehe dann nach, welches Textfragment aus meinem Zettelkasten zur Stimmung des Parts paßt. Wenn gerade nichts Entsprechendes vorhanden ist oder sich kein Thema direkt anbietet, frage ich den Betreffenden, was er beim Schreiben der Passage dachte, was er sich als Text wünscht. Manchmal ist da zuerst ein vorläufiger Text, der dann vertont wird. Das Songwriting ist bei uns immer ein Gemeinschaftsprozess, jeder steuert seinen Anteil bei und macht Vorschläge zum Arrangement. Nachdem ein Grundgerüst vorhanden ist, wird so lange gefeilt, bis die Atmosphäre des Songs stimmt, alle zufrieden sind… oder Martin wenigstens nicht mehr ganz so laut meckert…“

Also ganz normale Verhältnisse, hehe. Vielleicht gibst Du mal einen kleinen Einblick in Euer lyrisches Universum… Worum geht´s in den einzelnen Texten?
J.: „Die Texte von „Amplexus…“ beschäftigen sich mit den Themen Tod, Vergänglichkeit und Lebenslügen sowie falsche Auswege aus der Welt. Sie sind vielleicht düster, aber ein bißchen Hoffnung bleibt – und das Interesse an dieser Welt. „Goodbye“ ist eine Aufforderung, die eigene Sterblichkeit ganz bewußt anzunehmen und dieses Bewußtsein in eine das Leben bejahende Haltung umzuwandeln. „Rejoin the Fire“ wendet sich gegen die esoterische Flucht aus der Welt und betont die Wichtigkeit verantwortlichen Handelns gegenüber dieser Welt und ihrer Bewohner. „The Cross Of Stone“ hat nur die Form einer recht einfachen Fantasygeschichte; es stellt das Streben nach Macht als gefährliche Verlockung dar. „The Last To Go“ ist eine Art innerer Monolog von jemand, der irgendwo in arktischen Gewässern auf einer Eisscholle dahintreibt und langsam erfriert. Manchmal allerdings findet man sich selbst in einer Art Arktis wieder, treibend…“Clouds“ erzählt davon, daß die Menschheit und ihr Zerstörungswerk an ihrem Planeten nur eine vorübergehende Erscheinung gegenüber der ewigen Kraft des Lebens ist, die sich im Fortbestehen des Kosmos äußert. „Eyes“ setzt sich damit auseinander, daß wir Menschen viel zu oft in der Lüge anderen und uns selbst gegenüber den leichteren und besseren Weg sehen. Dann aber sind hinter den Augen das Wissen um die Wahrheit und viel Einsamkeit eingesperrt…“Father Mine“ beschreibt den Tag der Beerdigung meines Vaters und die Zeit danach.“

Ihr arbeitet gelegentlich mit religiösen Symbolen, z. B. “ The Cross…“, ist das als Stilmittel zu sehen oder steckt da mehr dahinter?
J.: „Ich vermute, daß Du mit Stilmittel hier ein bloßes Ornament, eine reine Verzierung meinst. Ein Symbol allerdings deutet immer über sich selbst hinaus, ist immer mehr als ein bloßes Ornament. Wenn man Symbole bewußt und eben nicht nur schmückend verwendet, kann man mit nur einem Wort viele Assoziationen hervorrufen, die dann im Zusammenhang mit dem ganzen Text erlauben, auf sehr wenig Raum sehr viel zu sagen. Bei „The Cross of Stone“ werden genau genommen zwei Symbole, Kreuz und Stein, miteinander vereint, aus deren Zusammenwirken eine ganze Reihe von Bedeutungen erzeugt wird. Für sich allein genommen, ruft man mit dem Kreuz die Assoziation des Religiösen auf; hierin deutet sich schon die Sphäre des Machtvollen an. Es steht in der christlichen Tradition sowohl für Leiden und Tod als auch für die Hoffnung auf Erlösung. Stein ist aber ein Symbol für Härte, Kälte und Unnachgiebigkeit. Nimmt man ein steinernes Kreuz, werden die meisten sofort an einen Grabstein bzw. Friedhof denken. So wird das Kreuz hier in einen negativen Kontext eingebettet, der mit etwas Machtvollem und dem Tod verbunden ist. In der Geschichte steht das Kreuz bei einer alten Kultstätte, an der dunkle Mächte denjenigen, die sie verehren, Macht anbieten. Damit wird ein Zusammenhang zwischen Macht, Tod, Unnachgiebigkeit, Kälte und Härte geschaffen. Im Zusammenhang des Textes dient die Formulierung „das Kreuz aus Stein“ nur auf  unterster Ebene dazu, einen Ort zu charakterisieren: ein steinernes Kreuz bei einer uralten Eiche, verborgen im tiefen Wald – zwei weitere Symbole. Damit wird auf einer weiteren Ebene eine unheimliche, düstere Atmosphäre geschaffen, in der die anderen Bedeutungen aber schon mitschwingen. Der Protagonist der Geschichte begibt sich aus freien Stücken zu dem Kreuz in den Wald, läßt also bewußt die Sphäre der bewohnten Welt hinter sich. Er bewegt sich damit aber nicht nur räumlich: Wer sich aus der Mitte der Menschheit entfernt, um zur Macht zu gelangen, entfernt sich davon, menschlich zu sein. Er begibt sich zu einem Ding aus Stein, also aus Härte und Kälte, was die übergeordnete Bedeutung von „das Kreuz aus Stein“ ist. Er will die darin enthaltene Kraft nutzen, also etwas von der Kälte, Härte und Todesnähe annehmen. Wenn man sich anschaut, wie viele handeln, die Macht erlangt haben, könnte man meinen, daß sie alle ein Kreuz aus Stein aufgesucht und etwas davon in sich aufgenommen haben. Wenn einen das allerdings in die Nähe des Todes rückt, wie ist es dann um sie bestellt, die scheinbar Glück hatten? Weiter steht das Kreuz ja nicht zuletzt für das Religiöse; ist ein Kreuz aus Stein überhaupt noch ein Kreuz, d.h. ist da noch Hoffnung auf Erlösung? Ist die christliche Religion noch Hoffnungsspender für die Menschheit oder ist sie so verdreht worden, daß sie als Machtmittel zweckentfremdet werden kann? Wo ist das Kreuz, das nicht aus Stein ist?“

Und da muß auch der Jörg mal Luft holen, so daß ich gleich mit meiner nächsten Frage reinplatze: Gelegentlich erscheint auch eine Textpassage in Latein, ebenso ist der Titel der CD in Latein gehalten; worin besteht das Besondere dieser ja eigentlich toten Sprache?
J.: „Erstens einmal ist Latein eine wunderbar wohlklingende, schöne und präzise Sprache. Zweitens gibt die Verwendung der lateinischen Sprache einem zahlreiche Möglichkeiten an die Hand, Assoziationen mit Geistlichem und dem Altertum sowie ein Gefühl besonderer Bedeutsamkeit hervorzurufen. Man kann mit dieser Sprache ganz gezielt eine bestimmte mystische Atmosphäre oder einen besonderen Bedeutungshorizont erzeugen.“

Zurück zur Musik… mit dem erwähnten „The Cross of Stone“ habt Ihr einen alten Song mit auf die neue Platte gebracht, ist er repräsentativ für euer altes Material?
J.: „Daher die Kommentare im Booklet: wüßtest Du sonst, daß „The Cross…“ ein älterer Song ist…? (Schon gut, schon gut, hehe… – Anm. d. Verf.) Die ersten Songs, die wir schrieben, waren allesamt etwas einfacher strukturiert. Insofern ist er repräsentativ, obwohl wir ihn noch ziemlich überarbeitet haben, bevor wir ihn auf die Scheibe nahmen. „Of Gloom And Light“ war ähnlich abwechslungsreich wie die neue Scheibe, mit einigen heftigeren Nummern, einigen sehr doomigen Songs und teilweise balladenhaft Experimentellem. Die Instrumental- und Gesangsarrangements waren allerdings noch um einiges weniger ausgefeilt als beim neuen Material. Aber der gravierendste Unterschied liegt beim Sound; „Of Gloom…“ ist mitten im Winter im kaum beheizten Proberaum mit einem mobilen Studio aufgenommen und privat auf dem PC gemastert worden. Damals waren wir begeistert, auch in den Pressereaktionen gab’s keine Schelte aber heute kommt’s uns doch etwas dünn vor – besonders, wenn man „Amplexus…“ daneben hält.“

Thema Livegigs: Was erwartet den Zuschauer bei einer December Dawn-Liveshow?
J.: „Atmosphäre und mehr Wucht. Wir treten immer bei heruntergefahrenem Licht, mit Unmengen Kerzen auf der Bühne und mit reichlich Nebel auf. Live kommen die Gitarren etwas mehr durch, wir klingen ein wenig härter, eindringlicher und kraftvoller. Auf der Bühne wird der Doom voll ausgelebt; theatralische Dramatik bestimmt das Bild, in den Ansagen wird deutlich gemacht, worum es im nächsten Song geht, und Stoff zum Nachdenklichwerden geliefert. Die Songs werden nicht nur gespielt, sondern gelebt…“

Du hast es eingangs schon erwähnt, Ihr habt auch schon mit bekannteren Bands gespielt, z.B. The Gathering und Lake of Tears. Verrate uns euer Geheimnis: Wie kommt man an solche Gigs? Und wie liefen sie ab, worin bestand der Unterschied zu einem Undergroundkonzert?
J.: „Ein kleiner Ruf als Live-Band und gute Kontakte helfen, aber ohne irrsinnig viel Glück wird nichts draus. Dazu kommt noch das richtige Maß Penetranz. Das Konzert mit Lake Of Tears unterschied sich eigentlich kaum von einem Undergroundkonzert. Es gab nur ’ne bessere PA und L.O.T. mußten ihre Instrumente nicht selbst aufbauen. Auf alle Fälle war es ein enorm heißer Abend; das Konzert fand im Sommer statt, es war brüllend heiß in dem völlig überfüllten Schuppen, und unsere Kerzenschar milderte das nicht unbedingt. Wir hatten uns schon ein paar Gedanken gemacht, ob wir vor L.O.T. nicht nur besseres Kanonenfutter abgeben würden, aber dem war nicht so; das Publikum nahm uns sehr gut auf – einige waren sogar extra wegen uns gekommen. Lake Of Tears selber spielten einen sehr routinierten Gig, schienen aber vom Tourstreß und der Affenhitze zu mitgenommen, um sich voll auszutoben zu können, was das Publikum allerdings nicht im geringsten davon abhielt, sie gebührend zu feiern. Der Auftritt als Local Opener bei der Seigmen/Lacuna Coil/The Gathering -Tour war da schon etwas anderes. Es war nicht leicht, an den Gig heranzukommen und forderte seinen Tribut. Wir waren mehr als nur ein wenig aufgeregt; wir hatten noch nie in einer so großen Halle gespielt, und der Kanonenfuttergedanke nagte ständig an der Freude über diese Gelegenheit. Zuerst gab es leider ein paar Mißstimmigkeiten, da das Management der Bands den mitreisenden Tourmanager und damit auch die Bands nicht davon in Kenntnis gesetzt hatte, daß es an diesem Abend einen Local Opener geben würde. Daher war der enggesteckte Zeitplan für den Soundcheck bedroht, was zunächst die „allerbeste“ Stimmung hervorrief. Wir konnten uns dann aber doch schnell verständigen; Seigmen und Lacuna Coil waren sehr solidarisch und kürzten ihre Zeiten zu unseren Gunsten – heißesten Dank noch mal… Als es dann endlich soweit war, haben wir alles reingelegt und wurden mit unerwartet viel Applaus und mit nicht den schlechtesten Merchandiseergebnissen des Abends belohnt. Einem Teil des Publikums waren wir wohl zu düster und zu heftig, aber einige fuhren von Anfang an ab, und einige konnten wir in der knappen Zeit hinzugewinnen. Weder Fliegen noch Sex könnten besser sein…“

Setzt Ihr irgendwelche Präferenzen, was Liveauftritte und Studioarbeit angeht, oder macht das gleich viel Spaß?
J.: „Wir fühlen uns eindeutig auf der Bühne wohler als im Studio; letzteres ist doch in erster Linie Arbeit, die viel Konzentration erfordert, bei der die unmittelbare Reaktion eines Publikums fehlt und die Atmosphäre nicht so dicht und packend wird wie bei einem Auftritt. Natürlich hat es auch seinen Reiz, im Studio seine musikalischen Wünsche von einem Bild im Kopf in reproduzierbare Wirklichkeit zu verwandeln und das allmähliche Wachsen zu verfolgen; zu hören, wie die Sache anfängt, so zu klingen, wie sie soll, aber beim Proben doch nie klingen kann. Aber live gibt es einfach diesen unglaublichen Kick…“

Auf Euren Bandphotos seid Ihr fast alle mit einem Gegenstand, z.B. Uhr, Schwert, etc., abgebildet. Inwiefern hat das denn mit der jeweiligen Person zu tun?
J.: „Wir haben keinen Uhrmacher, keinen Pyromanen, keinen Schwertschwinger und auch keine Obstfanatikerin in der Band. Die Gegenstände haben weniger mit den jeweiligen Personen zu tun als mit den Inhalten, mit denen wir uns auseinandersetzen. So ist Olaf kein Rosenzüchter, sondern hält das Symbol für Schönheit und Vergänglichkeit; Bibo hat seine Stromrechnung bezahlt: die Kerze ist das berühmte kleine Licht in Dunkel.“

Jörg, Du selbst bist mit einem Buch abgebildet… liest Du viel? Wenn ja, welche Lektüre bevorzugst Du?
J.: „Auch wenn das Buch, die Bibel übrigens; aufgeschlagen bei Prediger Salomo (bzw. Kohelet) 3, 1-15, eigentlich für Nachdenklichkeit und Zurückgezogenheit steht: Ja, ich bin einer derjenigen, die man selten ohne Buch antrifft. Ich lese ebenso gern klassische englische und deutsche Literatur wie auch neuere Werke und mag ältere und neuere Philosophen genauso gern wie Fantasy von Tolkien bis Pratchett. Momentan lese ich Ovids „Liebeskunst“, jetzt ziemlich genau zweitausend Jahre alt, aber topaktuell und einfach geil. Eine Kostprobe: „Zwar schadet echte Trunkenheit, doch erheuchelte wird dir nützen: Laß´die Zunge listig mit lallenden Lauten stammeln, damit alles, was du zu keck sagst oder tust, auf übermäßigen Weingenuß geschoben werde. Und sage `Auf das Wohl der Dame, auf das Wohl dessen, mit dem sie schläft.´ Doch in der Stille wünsche den Mann zum Henker.“ (Ovid: „Ars Amatoria“, hg. von Michael von Albrecht, Reclam: Stuttgart 1992, 57)“

Na denn prost! Ein klein wenig muß ich auch Kritik üben; mit 30 Mark verlangt Ihr für Undergroundverhältnisse recht viel für eure CD… rechtfertigt Euch!
J.: „Die Kritik ist schon berechtigt, das ist ’ne Menge Geld. Aber leider scheint es so zu sein, daß nur das etwas kosten darf, wo auch ein möglichst großer Labelname draufsteht – auch wenn die Labels ihre Kosten auf ganz andere Auflagengrößen/Stückzahlen umlegen können als eine kleine Band. „Amplexus Melancholiae“ war doppelt so teuer wie ihre Vorgängerin; wir haben nur wenig am Studio und der dort verbrachten Zeit gespart…und am Mastering gar nicht: im selben Masteringstudio haben auch schon Rage Against the Machine gearbeitet. Dazu kommt noch das achtseitige geheftete Booklet. Aber genug des Gejammers. Deine Kritik hat den letzten Ausschlag gegeben, unsere Kalkulation nochmal zu überdenken (Jaaa, ich bin wichtig! – Anm. d. Verf.); schließlich können die Doomies nichts dafür, daß wir ’ne teure Produktion gemacht haben. Wir senken den Preis jetzt auf 26,- DM inklusive Porto und Verpackung. Besser?“

Ist genehmigt…Wo glaubt Ihr, mit der Band in fünf Jahren zu stehen?
J.: „Auf der Bühne irgend eines Clubs natürlich; leidend, schwitzend & voll dabei! Alles andere wird sich zeigen: Fatum, Karma, Kismet, Doom eben.“

Letzte Worte?
J.: „Vielen Dank an alle, die uns merken ließen, daß unsere Musik sie berühren und bewegen konnte. Ihr seid ein Teil von dem, was das Leben sinnvoll macht. „

Kontakt: Marc Siemering, Graubündenerstr. 75, 28325 Bremen

http://www.metal-archives.com/band.php?id=55854

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